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Wie entführt man einen Herzog?

Wie entführt man einen Herzog?

Titel: Wie entführt man einen Herzog?
Autoren: CHRISTINE MERRILL
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zeigen; die anderen waren zwar arm, aber offenbar sehr ungebildet und womöglich gewalttätig. Keiner von ihnen hätte ihr mehr Freiheiten gelassen als ihr Bruder. Aber irgendwo zwischen London und Gretna Green musste es doch einen Gentleman geben, der ihren Vorstellungen entsprach!
    Die Kutsche kam so plötzlich zum Stehen, dass Miss Winthorpe sich an der ledernen Schlaufe über dem Fenster festhalten musste, um nicht vom Sitz zu rutschen. Eines der Pferde wieherte schrill auf. „Vorsicht, Sir!“, schrie jemand, und der Kutscher begann lauthals zu fluchen. Jem war blass geworden, bedeutete seiner Herrin aber, ruhig sitzen zu bleiben, während er den Schlag öffnete und ausstieg, um nachzuschauen, was geschehen war.
    Penelope zögerte nicht, neugierig den Kopf aus der Kutschentür zu strecken.
    Sie befanden sich im Hof des Wirtshauses, in dem sie Station machen wollten. Vor der Kutsche hatte sich eine Menschenmenge versammelt. Und jetzt erkannte Penelope auch den Grund: Auf dem Kopfsteinpflaster lag mit dem Gesicht nach unten ein Mann. Die Hufe der Pferde, die noch immer nervös waren, berührten fast seinen reglosen Körper. Zweifellos war es nur der Erfahrung des Kutschers zu verdanken, dass die Tiere vor dem Bewusstlosen zum Stehen gekommen waren.
    Es schien sich um einen Gentleman zu handeln. Er war gut gebaut, mit breiten Schultern und schmalen Hüften. Sein dunkler Rock, aus feinem Tuch gefertigt, saß perfekt, soweit Penelope das feststellen konnte. Dazu trug er Wildlederhosen, die sehr gepflegt wirkten, auch wenn sie unten mit Schlamm bespritzt waren.
    Jem hatte sich neben den Fremden gekniet und fasste jetzt nach dessen Schulter. Nichts … Er schüttelte den Ohnmächtigen vorsichtig. Keine Reaktion … Schließlich drehte er ihn auf den Rücken.
    Das blasse Gesicht des Mannes war glatt rasiert, sein dunkles Haar modisch geschnitten, auch wenn es jetzt unordentlich wirkte. Die Hände mit den langen schlanken Fingern zeigten keinerlei Spuren harter Arbeit.
    Vielleicht, dachte Penelope, hat er sein Leben der Wissenschaft gewidmet. Aber nein, das wäre zu schön, um wahr zu sein. Eher schon mochte es sich um einen Lebemann handeln. Dafür sprach auch sein Zustand. Er schien sehr betrunken zu sein.
    Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, und sie beschloss auszusteigen. Hatte sie endlich ihren perfekten Ehekandidaten gefunden?
    „Bringen Sie ihn in die Kutsche“, befahl sie Jem.
    Der warf ihr einen entsetzten Blick zu. Offenbar fürchtete er, sie habe den Verstand verloren.
    Sie trat einen Schritt auf ihn zu und sagte leise, sodass die Umstehenden ihre Worte nicht verstehen konnten: „Ich habe auf das Schicksal vertraut und fest daran geglaubt, dass ein passender Mann meinen Weg kreuzen würde. Nun ist genau das geschehen. Ich bin nicht bereit, mir diese Chance entgehen zu lassen.“
    Der Bedienstete wandte den Blick von ihr ab und begann wieder, den Bewusstlosen zu schütteln. „Sir? Wachen Sie auf, Sir!“
    Langsam schlug dieser die Augen auf. Sie waren tiefblau. Seine bleichen Wangen nahmen wieder etwas Farbe an. Er blinzelte in die Sonne, seufzte und murmelte mit schwerer Zunge: „Es hat gar nicht wehgetan. Ich dachte, es würde …“ In diesem Moment bemerkte er Penelope. „Sind Sie ein Engel?“, fragte er mit einem zaghaften Lächeln.
    „Sie müssen betrunken sein!“
    „Möglich“, stimmte er zu. „Das heißt: Wenn ich noch lebe, bin ich betrunken. Wenn ich aber tot bin, bin ich glücklich. Und Sie …“, er zeigte mit dem Finger auf Penelope, „… sind ein Engel.“
    Sie zuckte die Schultern. „Wie dem auch sei, Sie sollten nicht hier auf der Erde liegen. Es wäre nett, wenn Sie zu mir in die Kutsche steigen würden. Ich befinde mich auf einer Reise …“
    „… zum Himmel“, ergänzte er.
    Ihre Gedanken wandten sich Gretna Green zu, dem Ziel ihrer Fahrt. Dort mochte es ja ganz nett sein, gewiss aber nicht paradiesisch. Überraschend diplomatisch meinte sie: „Befinden wir uns nicht alle auf dem Weg zum Himmel? Nur, dass manche ihm schon ein bisschen näher sind als andere …“
    Er versuchte sich aufzurichten, war aber anscheinend aus eigener Kraft nicht dazu in der Lage. Mit Jems Hilfe kam er schließlich auf die Füße. Er schwankte, schloss kurz die Augen und sagte dann ziemlich deutlich: „Ich werde Ihnen folgen, denn gewiss hat Gott Sie gesandt, um mir den Weg zu weisen.“
    Jem drückte ihm ein Taschentuch in die Hand, das er aber nur verständnislos anstarrte. Schließlich
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