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Wie der Vater so der Tod

Wie der Vater so der Tod

Titel: Wie der Vater so der Tod
Autoren: Tracy Bilen
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ich ihm alles sagen, auf der Stelle. Aber ganz ehrlich: Abgesehen von dieser Cujo -Sache ist Alex praktisch ein Fremder für mich. Ein dunkelhaariger Fremder, bei dessen Anblick es mich fast umhaut, aber eben ein Fremder. »Keine Ahnung«, sage ich also.
    »Ja klar.«
    »Im Ernst, ich weiß es wirklich nicht. Ich hab nicht aufgepasst und mir keine einzige Notiz gemacht.« Ich bemerke ein bisschen Eis an seinem Kinn und deute auf meins.
    Er versteht nicht und hebt nur die Brauen. »He, die Art von Mädchen gefällt mir. Abklatschen!«, meint er.
    Ich schlage seine Hand fort. Meine fühlt sich danach kribbelig an.
    »He, Alex!«, ruft Jared vom Bürgersteig herüber. »Kehren wir zurück?«
    »Geh voraus!« Alex winkt. »Wir sehen uns später.« Er zwinkert mir zu. »Wie wär’s, wenn wir uns an einen Picknicktisch setzen?«
    Ich hebe die Schultern, als hätte ich nicht um einen solchen Vorschlag gebetet.
    Alex setzt sich mit dem Blick zur Straße, und ich nehme neben ihm Platz, damit ich ebenfalls die Straße sehen kann. Wahrscheinlich denkt er, dass ich ihn anbaggern will. Vielleicht will ich das tatsächlich. Wo bleibt meine Mutter?
    »Wie steht’s mit Algebra heute Nachmittag? Kann ich deine Hausaufgaben abschreiben?«
    »Hab sie nicht gemacht.« Er hat noch immer Eis am Kinn. Merkt er es nicht?
    Er mustert mich argwöhnisch. »Du machst immer deine Hausaufgaben und willst mich nur nicht abschreiben lassen.«
    »Diesmal hab ich sie nicht gemacht.« Man macht keine Hausaufgaben, wenn man weiß, dass man nie mehr in diese Schule gehen wird.
    »Was gefällt dir besser, Geometrie oder Algebra?«
    Eine solche Frage erwarte ich von Alex nicht. Ich sehe mich nach Lehrern um, die er vielleicht beeindrucken möchte. Nicht einer ist in der Nähe. »Eindeutig Algebra.«
    »Warum?«
    »Wenn man den Regeln folgt, bekommt man die richtigen Antworten.«
    »Für mich ist das nichts. Wenn es Geometrie zwei statt Algebra zwei gäbe, fiele mir die Wahl nicht schwer.«
    Ich hebe die Brauen.
    »Was? Glaubst du vielleicht, ich könnte keine guten Noten kriegen?«, fragt er ein bisschen gekränkt.
    »Kannst du?«
    »Ja. Wenn mir das Thema gefällt. Ich mag die geometrischen Beweise.«
    Ich schneide eine Grimasse. »Ich hasse Beweise. Sie ähneln viel zu sehr den Rätseln, die mein Vater uns aufgibt, wenn wir im Urlaub sind.«
    »Wo macht ihr Urlaub, wenn ihr dort Zeit für Rätsel habt?« Alex zerknüllt die Serviette zu einem Ball und wirft ihn von einer Hand in die andere.
    »Wir haben eine Hütte in Ramonas Ruhesitz gemietet, etwa eine Autostunde entfernt, am Ausable River. Weit draußen, mitten im Nirgendwo. Noch mehr mitten im Nirgendwo als hier. Einer jener Orte, wo es keine Straßennamen gibt, nur Schilder mit Pfeilen, die den Weg zu den einzelnen Hütten weisen.«
    »Na, so ein Zufall. Meine Alten haben dort eine Hütte. Ich erinnere mich an ihre Schilder. Der Name stach gewissermaßen heraus. Unser Schild hatte nur den Nachnamen drauf.«
    »Ja, deinen und praktisch alle anderen.«
    Alex’ Serviettenkugel fällt unter den Tisch, und er bückt sich, um sie aufzuheben.
    Ein silbergrauer Wagen nähert sich. Ich halte den Atem an.
    Nicht Moms Wagen. Ich lasse den Atem entweichen und sehe auf die Uhr. Was bedeutet Mittag ? Hat Mom eine Ahnung, wann meine Mittagspause ist? Angenommen, sie hat hier gewartet, während ich noch in der Schule war. Sie würde doch zurückkehren, oder?
    Ich hole mein Handy hervor und wähle die Nummer meiner Mutter.
    »Wen rufst du an?«, fragt Alex.
    Ich achte nicht auf ihn.
    Der Anruf geht direkt zur Voicemail. Na klar. Mom hält nicht viel von moderner Technik und hat ihr Handy meistens nicht an. Oft schaltet sie es nur ein, wenn sie jemanden anrufen möchte. Ich lasse mein Telefon wieder verschwinden und sehe noch einmal auf die Uhr.
    »Du scheinst dir wegen der Uhrzeit Sorgen zu machen«, sagt Alex. »Möchtest du zur Schule zurück?«
    Ich schüttle den Kopf und versuche zu lächeln, damit er aufgibt und geht. In Wirklichkeit aber möchte ich, dass er bleibt, damit ich mich nicht allein fühle.
    Und weil ich ihn mag.
    »Nein, es ist alles in Ordnung. Ich habe nur noch keine Lust, zur Schule zurückzugehen.«
    »Na schön. Ich schätze, ich bin zur Abwechselung mal der brave Schüler.« Alex steht auf und zögert unsicher.
    Ich reiche ihm eine Serviette. »Du hast Eis am Kinn.«
    Er wischt es ab, steckt die Serviette in die Hosentasche und geht los. »Keine Sorge«, sagt er über die Schulter hinweg.
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