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Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt

Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt

Titel: Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt
Autoren: Emmy Abrahamson
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Lavendelblüten, und über den Baumwipfeln tanzen Schwalben.
    Die hufeisenförmige Hochzeitstafel ist mit weißen Tischdecken und feinem Porzellan eingedeckt, die Gläser und das Silberbesteck funkeln in der Sonne. Zwischen den Apfelbäumen, wo die Trauungszeremonie stattfinden soll, hat Rafał einen weißen Baldachin aufgespannt, und die Stühle sind mit weißen Schleifen geschmückt. Die Bar – ein Tisch – ist mit so viel Alkohol ausgestattet, dass Sixten, wäre er eingeladen, sich im Himmel wähnen würde. Auf einem anderen Tisch stehen unter sauberen weißen Geschirrtüchern die Speisen, die nicht aufgewärmt oder gekühlt werden müssen. Kurzum, wir sind auf alles vorbereitet.
    »Hallo«, sagt Marie, die plötzlich neben mir steht.
    Ich zucke zusammen, als ich sie und Natalie sehe. Sie tragen beide ihre besten Kleider, und Marie hat ihre Haare zu einem schön geschwungenen Knoten aufgesteckt. Natalie sieht mich nicht an, sondern schaut mit verschränkten Armen zu Boden.
    »Hallo …«, sage ich. »Was …?«
    »Deine Mutter hat uns eingeladen«, sagt Marie. »Wir sollen beim Servieren helfen.«
    Aha. Deshalb hat Mutter vor ein paar Tagen nach meinem Adressbuch gefragt. Diese falsche Schlange! Von allen Menschen, die sie hätte fragen können, hat sie ausgerechnet meine beiden Freundinnen gefragt. Oder vielmehr eine Freundin und eine Exfreundin. Will sie mich unbedingt in den Wahnsinn treiben?
    »Ja, natürlich«, bekomme ich gerade noch heraus. »Danke, dass ihr kommen konntet. Ich muss nur schnell was holen …«
    Ich verstecke mich hinter der Garage. Vielleicht finde ich dort auch das Grab, das Mutter mir höchstwahrscheinlich schon geschaufelt hat. Nein! Nein! Nein! Natalie ist der letzte Mensch, den ich heute sehen will! Abgesehen von Sylwia und Celestyna, versteht sich. Frustriert zertrete ich einen von den weißen Pilzen, die hinter der Garage im Gras wachsen, und er geht in tausend Stücke.
    »Alicja, wo bist du?«, höre ich Mutter nach mir rufen. »Sie kommen!«
    Ich hole dreimal tief Atem, pople nach einem Stück Pilz, das sich zwischen meinen Zehen festgesetzt hat, dann gehe ich zurück zu den anderen, die alle schon zum Tor schauen. Ich muss zugeben, dass Rafał gut aussieht. Er hat ausnahmsweise geduscht und sich für etwas Festlicheres als die üblichen Shorts mit T-Shirt entschieden. So ähnelt er schon fast einem Menschen. Jadwiga und Mutter tragen beide lange bunte Kleider, und Klaus-Günter trägt erstaunlicherweise sogar einen Frack, der ihn wie einen ernsten kleinen Dirigenten aussehen lässt. Dann sehe ich, dass Pan Bogusław sich einen von Vaters Anzügen hat ausleihen dürfen. Er spannt nur ein bisschen an den Schultern und über dem Bauch. Pan Maciej ist der Einzige, der nicht zu sehen ist.
    »Alicja, komm jetzt!«
    Ich nähere mich der kleinen Gruppe, sehe aber zu, dass ich so weit wie möglich von Marie und Natalie entfernt stehe.
    »Beata, hast du Brot und Salz?«
    »Sie kommen!«
    Im selben Moment traben zwei dunkelbraune Pferde vor einer weißen Kutsche durchs Tor. Der Anblick ist so schön, so unerwartet und bizarr, dass alle wie verhext stumm dastehen und sich nicht rühren. Ein fescher Kutscher mit Hut und in Uniform zügelt gekonnt die Pferde, deren kastanienbraunes Fell in der Sonne glänzt. Auf dem Kopf tragen sie einen großen weißen Federbusch.
    In der Kutsche sitzen Sylwia und Evert und lächeln von einem Ohr zum andern. Wenn Evert nicht ein paar Zähne fehlen und sich Sylwias Augen nicht so weit aus den Höhlen wölben würden, hätte ich sie kaum wiedererkannt. Evert trägt einen dunklen Anzug mit grauer Fliege, Sylwia ein großes weißes Ballkleid, das wie ein Barbie-Abendkleid in Menschengröße aussieht.
    Der Kutscher springt jetzt vom Bock und öffnet die kleine Seitentür, damit Evert der Braut aus der Kutsche helfen kann. Sylwias Kleid ist so ausladend, dass sie es zum Aussteigen vorne zusammenraffen muss. Als der Kutscher das Türchen hinter ihnen schließt, macht er eine halbe Körperdrehung und sieht mich mit einem breiten Lächeln an.
    Es ist Ola Olsson.
    Ich bin so erschüttert, dass ich es nicht einmal schaffe zurückzulächeln. Stattdessen drehe ich mich um zu Mutter.
    »Was macht er denn hier?«, flüstere ich, weil ich Angst habe, dass ich sonst schreie.
    »Es ist polnische Sitte, dass das Brautpaar in einer weißen Limousine oder einer Kutsche kommt«, sagt Mutter. »Wen hätte ich denn sonst fragen sollen? Und dass er den Kutscher macht, hat er von
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