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Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe

Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe

Titel: Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe
Autoren: Die Gabe
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wandelnder Leichnam.
    »Man hat viel Wirbel um Sie gemacht in dem Artikel – berühmte Bildhauerin und so. Aber warum wurde Jeffy nicht erwähnt? Ich bin überrascht, dass man auf diesen persönlichen Aspekt nicht weiter eingegangen ist.«
    »Jeffy wurde nicht erwähnt, weil sie nichts über ihn wussten. Jeffy ist kein Ausstellungsstück.«
    Damit stieg Sylvia Nash noch eine Stufe höher in Alans Wertschätzung. Er beobachtete sie und wartete darauf, dass sie eine provokante Bemerkung machte. Aber die blieb aus. Sie war zu besorgt um Jeffy.
    »Sehen Sie ihn sich bitte an«, fuhr sie fort. »Er ist oben. Er ist eingeschlafen, nachdem ich angerufen hatte. Ich habe Sie ungern gestört, aber er hatte so starke Schmerzen, und dann erbrach er sich. Ich habe mir Sorgen gemacht.«
    Alan konnte sie verstehen. Er folgte ihr durch das Foyer und dann die geschwungene Treppe hinauf und betrachtete dabei ihre Hüften, die sich vor seinen Augen anmutig wiegten. Durch einen Flur, eine Drehung nach links, und dann stiegen sie über ein kniehohes Sicherheitsgitter in das Kinderzimmer, das von einer Donald-Duck-Lampe schwach beleuchtet wurde.
    Alan kannte Jeffy gut, und er spürte eine besondere Verbundenheit mit ihm, die er sonst mit seinen kleinen Patienten nicht teilte. Ein schönes Kind mit Engelsgesicht, blonden Haaren, tiefblauen Augen und einem furchtbaren Problem. Er hatte Jeffy schon so viele Male untersucht, dass sein kleiner achtjähriger Körper ihm fast so vertraut war wie sein eigener. Aber Jeffys Geist … sein Geist blieb allen Menschen verschlossen.
    Er schaute zum Bett und sah Jeffy friedlich schlafen.
    »Für meine Begriffe sieht er nicht sehr krank aus.«
    Sylvia trat schnell zum Bett und starrte auf den Jun gen. »Vorhin hatte er schlimme Schmerzen – er krümmte sich und fasste sich an den Bauch. Sie wissen, dass ich Sie niemals nur zum Spaß anrufen würde. Stimmt mit ihm etwas nicht? Ist alles in Ordnung?«
    Alan blickte flüchtig auf ihr besorgtes Gesicht und spürte die Liebe zu ihrem Kind, die wie eine warme Brise aus ihr herausströmte.
    »Ich werde ihn mir ansehen und es herausfinden.«
    »Kusch, Mess«, sagte Sylvia. Die schildpattfarbene Katze, die in Jeffys Kniewinkeln zusammengerollt gelegen hatte, warf Alan einen verärgerten Blick zu, als sie vom Bett verschwand.
    Alan setzte sich zu Jeffy auf das Bett und drehte ihn auf den Rücken. Er hob das Hemd des Schlafanzugs hoch und schob die Windel hinunter, um den Unterleib freizulegen. Während er seine linke Hand auf den Bauch legte, presste er die Fingerspitzen der rechten Hand auf die der linken Hand. Der Unterbauch war weich. Er klopfte leicht die Quadranten ab und hörte ein hohles Geräusch – Blähungen. Er schenkte dem unteren rechten Quadranten über dem Blinddarm besondere Aufmerksamkeit. Er spürte einen leichten Druck der Bauchdecke und vielleicht eine Empfindlichkeit – er glaubte, Jeffy im Schlaf zucken zu sehen, als er dort tastete. Er holte das Stethoskop aus seiner schwarzen Tasche und horchte den Bauch ab. Die Darmgeräusche waren etwas gesteigert und deuteten auf eine Reizung hin. Er untersuchte routinemäßig auch Lunge, Herz und Halsdrüsen.
    »Wie hat er heute Abend gegessen?«
    »Wie üblich – wie ein Scheunendrescher.«
    Sylvia stand dicht neben ihm. Alan legte das Stethoskop weg und sah sie an. »Und was?«
    »Sein Lieblingsessen: Hamburger, Makkaroni und Käse, Sellerie, Milch, Eis.«
    Erleichtert, dass er etwas Ernsthaftes ausschließen konnte, begann Alan, Jeffys Schlafanzug wieder zurechtzuziehen. »Es gibt nichts zu befürchten, soweit ich sehen kann. Entweder ist er im Anfangsstadium einer Virusinfektion oder etwas von dem, was er gegessen hat, war nicht in Ordnung. Oder wie er es gegessen hat. Wenn er mit den Speisen Luft geschluckt hat, kann er schlimme Bauchschmerzen bekommen.«
    »Es ist nicht der Blinddarm?«
    »Soweit ich es beurteilen kann, nein. Die Möglichkeit besteht immer, aber ich bezweifle es. Normalerweise geht der Appetit bei einer Blinddarmentzündung verloren.«
    »Nun, seinem Appetit fehlt nichts, das kann ich Ihnen versichern.« Sie legte ihre Hand auf seine Schulter. »Danke, Alan.«
    Alan spürte eine Wärme, die sich von ihren langen Fingern durch die Stoffschichten seiner Windjacke und seines Hemdes auszudehnen begann. Gott, das fühlte sich gut an …
    Aber hier im Halbdunkel zu sitzen, während sie ihn berührte, konnte zu nichts führen. Er spürte, dass er gehen sollte. Er stand also auf, und
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