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Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe

Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe

Titel: Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe
Autoren: Die Gabe
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…«
    »Natürlich können Sie.«
    »Sie meinen, sie wird nach Hause kommen?«
    Alan lächelte und nickte. »Ja. In einer Woche vielleicht. Sie glaubt, dass sie hier sterben wird. Das stimmt nicht. Aber sie braucht jemanden, der ihr jetzt die Hand hält und mit ihr über die Zukunft spricht, wie das Leben weitergehen wird und welche Rolle sie spielen wird …« Er schob sie zum Vorhang. »Gehen Sie zu ihr.«
    Oberschwester McClain, die verantwortliche Stationsschwester für die Notaufnahme, war fast sechzig und gebaut wie ein Bulldozer. Sie sah ihn vom Schreibtisch aus an und hielt fragend eine TPA-Infusion hoch. Alan schüttelte den Kopf. Auf dem CT hatte sich keine Blutung gezeigt und nach dem, was die Tochter ihm erzählt hatte, lag der Schlaganfall bereits mehr als drei Stunden zurück. TPA würde da nicht mehr helfen.
    Alan unterzeichnete die Behandlungsanweisungen, schrieb einen Aufnahmebericht und diktierte dann die Krankengeschichte.
    Nachdem Alan Helen Jonas und ihre Tochter nochmals beruhigt und beiden eine gute Nacht gewünscht hatte, verließ er das Krankenhaus, stieg in seinen Subaru-Geländewagen und machte sich auf den Heimweg. Er fuhr langsam und nahm die kürzere Strecke durch das Zentrum von Monroe, wo sich alle Gebäude um den winzigen Hafen drängten wie wartende Badegäste auf die Freigabe des Wassers durch die Rettungsschwimmer. Er mochte die Einsamkeit, wenn er mitten in der Nacht durch die Einkaufsmeile fuhr. Während des Tages ging es hier immer nur schrittweise voran. Aber um diese Zeit, vor allem jetzt, wo die ganzen Bauprojekte abgeschlossen waren und er nicht immer um Absperrungen herumlenken und Umleitungen folgen musste, konnte er sein Tempo selbst bestimmen und die Geschwindigkeit so anpassen, dass er grüne Welle hatte. Und nachdem die Straßenbahnschienen mit Asphalt eingeebnet worden waren, war die Straße auch nicht mehr so holprig. Er legte eine Kassette in den Recorder, und die Crows ertönten mit »Oh, Gee.«
    Er sah zu, wie die vergitterten Ladenfronten an ihm vorbeiglitten. Als der Gemeinderat – wieso bestand die Stadt eigentlich darauf, sich selbst Gesamtgemeinde zu nennen? – beschlossen hatte, das ganze Hafenviertel zu restaurieren und dabei architektonisch einem Walfängerpanorama des neunzehnten Jahrhunderts zu folgen, hatte er die Idee albern gefunden. Auch wenn es hier gar keinen Walfang gegeben hatte und die nächsten Walfängerstützpunkte im Osten bei Oyster Bay und Cold Spring Harbor lagen, wollte die Stadt sich unbedingt neu präsentieren. Als er jetzt an den aufgemöbelten Fischrestaurants, Boutiquen und Antiquitätenläden vorbeikam, musste Alan zugeben, dass das gut aussah. Das frühere wahllose Gemengsel von Ladenfronten hatte eine neue, lebendigere Persönlichkeit bekommen und passte jetzt sehr gut zum weißen Turm der Reformierten Kirche und dem Backsteinbau des Rathauses von Monroe. Monroe war jetzt zu mehr geworden als nur zu irgendeiner der größeren Städte an der ›angesagten‹ Nordküste Long Islands.
    Die Illusion funktionierte sogar beinahe. Er versuchte, sich Ishmael vorzustellen, wie er mit der Harpune auf der Schulter zum Hafen marschierte, der Pequod entgegen …
    … und kam am neuesten Wohnsilo vorbei.
    Na ja, nichts ist perfekt.
    Eine rote Ampel zwang ihn zum Halten. Während er wartete, beobachtete er, wie Klumpfuß-Annie vor ihm über die Straße humpelte. Alan kannte ihren richtigen Namen nicht; soweit er wusste, kannte ihn niemand. Sie war einfach überall als Klumpfuß-Annie bekannt und lebte seit Menschengedenken auf der Straße.
    Wie immer, wenn er sie sah, fiel ihm auch jetzt wieder auf, wie ein missgestalteter Fuß, um dessen Korrektur sich im Kindesalter niemand gekümmert hatte, das Leben eines Erwachsenen formen konnte. Leute wie Annie regten immer etwas in Alan an. Er würde dann am liebsten in der Zeit zurückreisen und dafür sorgen, dass jemand das Richtige tat. Es wäre so einfach gewesen … Eine Dauerschiene mit Fuß-Abduktions-Prothese, um die Missbildung noch beim Kleinkind zu korrigieren. Was wäre aus Annie geworden, wenn sie mit einem gesunden Fuß aufgewachsen wäre? Vielleicht würde sie …
    Etwas hämmerte gegen die rechte Vordertür und ließ Alan hochfahren. Das Zerrbild eines menschlichen Gesichtes drückte sich gegen das Fenster am Beifahrersitz.
    »Sie!«, rief das Gesicht, das sich gegen das Glas press te. »Sie sind derjenige, welcher! Lassen Sie mich rein! Ich muss mit Ihnen sprechen!«
    Seine Haare
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