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White Horse

White Horse

Titel: White Horse
Autoren: Alex Adams
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Ihre Energie reißt mich mit. Wir
tanzen und posieren wie vor einem Millionen-Publikum. Das hier ist Italien, und
das Kind in mir ist erwacht. Ich will Münzen in den Brunnen werfen, einem
Prinzen begegnen, mein letztes Geld verschwenden, mich in der Pracht der
Brunelleschi-Kuppel verlieren und unter dem Titus-Bogen geküsst werden. Ich
will leben.
    Nicht sterben.
    Dann endet unsere Vorführung mit einem Schlag, und wir kehren in die
harte Wirklichkeit zurück.
    Â»Was mag sich da drinnen verbergen?«
    Lisas Wangen sind nach unserem albernen Tanz leicht gerötet. Auch
ich fühle mich erhitzt. Ich streife meinen Haargummi ab, kämme mit den Fingern
die feuchten Strähnen durch, ziehe sie glatt und binde sie wieder zu einem dicken
Pferdeschwanz zusammen.
    Verwesung hat ihren ganz eigenen Geruch. Sie ist der Straßenräuber
unter den Gerüchen, schlägt dir voll ins Gesicht, boxt dich in den Magen und
haut mit deiner Brieftasche ab, während du noch taumelst und vor dem Gestank
zurückweichst. Auch jetzt steigt mir der schwache Hauch von verdorbenem Fleisch
in die Nase. Aber … noch etwas anderes, das ich nicht näher bestimmen kann.
    Â»Irgendetwas. Oder auch nichts. Es gibt nur eine Möglichkeit, das
herauszufinden.«
    Â»Was immer es ist, du musst es mir erzählen.«
    Â»Natürlich. Ich gehe jetzt hinein.«
    Sie weicht rasch zurück. Mit einem entschlossenen Ruck, als würde
ich ein Pflaster abreißen, stoße ich die Türflügel auf.
    Sofort werde ich von Reizen überflutet. Mir stößt sauer auf, und ich
kämpfe mühsam gegen das Erbrechen an.
    Abschalten oder den Verstand verlieren.
    Ferienschnappschüsse aus dem verregneten Italien: Verstümmelte Tote.
Verwesendes Fleisch. Auf dem Leichnam des Priesters eine Ratte, eingegangen bei
dem Versuch, sein entstelltes Gesicht vollends zu zerfressen. Die DNA so sehr entartet, dass sich Teile des abnorm
verkrümmten Skeletts durch die Haut nach außen gebohrt haben. Eine Art Schwanz.
Nicht der übliche kleine Steißbein-Fortsatz, sondern eine Kette von Wirbeln,
die bis in die Knie hängt. Hornähnliche Wucherungen, die Gesichter in Fratzen
verwandeln. Körper, die nicht mehr menschlich und doch zu menschenähnlich sind,
um von einer fremden Rasse zu stammen. Italien hat eine grausige Kunst aus dem
Werk des Todes gemacht.
    Ein feuchtes Schmatzen dringt an mein Ohr. Ich kenne das Geräusch.
Ich wage nicht, die Augen zu schließen und nachzudenken, und ich kann mich
nicht lange genug auf einzelne Eindrücke konzentrieren, um seine Bedeutung
herauszufiltern. Wie die raue Zunge einer Katze, die über ein Stück Fleisch
fährt. Wie Krallen, die Muskelfasern von den Knochen reißen. Das Aussaugen von
Mark, wie gieriges Aufschlürfen einer chinesischen Nudelsuppe.
    Fressgeräusche. Von einem Monster, das einst ein Mensch war. Sein
unmenschliches Schlecken ist leise und zugleich ohrenbetäubend. Meine
Trommelfelle dröhnen.
    Jemand hat sie in dieser Kirche eingeschlossen. Jemand hat sie hier
lebendig begraben, und ich kann die Entscheidung nachvollziehen.
    Meine Hände können den Holzbalken kaum ruhig halten. Mit geballten
Fäusten und ruckartigen Bewegungen hämmere ich ihn in seine Haltebügel, damit
das Ding da drinnen nie mehr ins Freie gelangen kann. Ich begebe mich, immer
noch mit geballten Fäusten, zurück zu Lisa.
    Â»Was war das?«, flüstert sie, und ich weiß nicht, was ich darauf
antworten soll. Dieses Ding war einst ein Mensch, aber jetzt ist es ein neues
Glied in der Nahrungskette.
    Stumm schüttle ich den Kopf. Ich kann nicht sprechen. Würde ich
jetzt den Mund aufmachen, käme das Erbrechen.

    Wir haben uns etwa eine halbe Meile von dem Dorf entfernt. Der
Regen ist jetzt dünner und kitzelt meine nassen Wangen, ehe er unter den
abgerundeten Kragen meiner Hemdbluse rollt. Lisa redet unermüdlich auf mich
ein, und ich begrüße es, wie sie wahllos mit Worten um sich wirft, weil das
meine Gedanken von der Kirche ablenkt.

    Die nächste Meile geschafft. Der Kompass zeigt an, dass wir uns
immer noch nach Osten und ein wenig nach Süden bewegen. Genau in dieser
Richtung liegt mein Ziel. Der Himmel hängt so tief, dass er meinen Kopf zu
streifen scheint. Die Wolken ballen sich zu einer dichten dunklen Masse
zusammen. Die Welt holt tief Luft, aber wofür?
    Dann gerät alles aus den Fugen. Ein Dröhnen
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