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White Horse

White Horse

Titel: White Horse
Autoren: Alex Adams
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Metzger und ein
Markt für frisches Obst und Gemüse, beide mit längst verdorbenen Waren. Keines
der Geschäfte führt Medikamente – nicht mal ein Mittel gegen Übersäuerung des Magens.
Die Hütten geben ebenfalls nichts her. Was immer ihre Bewohner an Arzneien
besaßen, ist längst verbraucht.
    An einer Hauswand lehnt ein Besen, der sehnsüchtig auf seinen
Einsatz zu warten scheint. Ich komme seinem Wunsch nach, indem ich ihm den Kopf
abdrehe und den Stiel für eine neue Aufgabe mitnehme.
    Draußen stößt Lisa mit der Stiefelspitze gegen die Steinstufen, die
zum Hauseingang hinaufführen. Ihre Mundwinkel hängen nach unten, als sei sie in
düstere Gedanken vertieft.
    Â»Marmelade«, verkünde ich mit Nachdruck und hauche dem Wort ein
Lächeln ein, das die Grimasse der Enttäuschung überlagern soll. »Wer braucht
schon Brot? Als Kinder haben wir das süße Zeug auch einfach aus dem Glas
genascht.«
    Â»Können wir gehen? Mir ist es hier unheimlich. Die Stille gefällt
mir nicht, wenn du verstehst, was ich meine.«
    Noch vor einem Jahr muss es hier von Menschen gewimmelt haben.
Touristen, die mit Oohs und Aahs die Postkarten-Landschaft bewunderten, während sie viel zu viel Geld für
Andenken ausgaben, die doch nur in einer Schublade landeten, sobald sie daheim
ihre Koffer auspackten.
    Â»Bald.«
    Ich hänge die Körbe zu beiden Seiten an den Lenker, bevor ich Lisas
Finger um den Besenstiel schließe.
    Â»Ein Spazierstock«, sagt sie und tippt das Ende gegen die
ausgetretenen Pflastersteine. »Sicher über Stock und Stein. Vielen Dank.«
    Mein Blick richtet sich auf die Kirche am Ostrand des Dorfes.
Verrammelte Türen. Um etwas von draußen abzuwehren? Oder etwas im Innern zu
halten?
    Vielleicht haben sie hier eine Zufluchtsstätte eingerichtet. Mit
Vorräten für Notzeiten.
    Â»Hast du Medikamente gefunden?«, fragt sie.
    Ich setze mich in Bewegung. »Alles leer geräumt«, entgegne ich über
die Schulter hinweg. »Ich möchte noch einen Blick in die Kirche werfen.«
    Â»Ich komme mit.«
    Â»Jemand muss unsere Lebensmittel bewachen.«
    Â»Netter Versuch. Ich bin blind«, sagt sie. »Nicht nutzlos.«
    Â»Okay. Aber sobald die geringste Gefahr droht, läufst du dahin, wo es
am ruhigsten ist, und versteckst dich.«
    Um etwas im Innern zu halten. Daran kann es keinen Zweifel geben.
Denn am Türrahmen sind zwei Bügel befestigt, die als Halterungen für einen
schweren Balken dienen. Was verbirgt dieses Dorf? Wer hat das Kirchenportal von
außen verschlossen? Und wohin sind die Menschen verschwunden, die all das
unternommen haben?
    Ich hole tief Luft. Mir ist bewusst, dass ich die Türflügel weit
aufreißen werde. Zum einen, weil sich das, was wir brauchen, in der Kirche
befinden könnte, und zum anderen, weil meine Neugier längst die Oberhand
gewonnen hat. Wissen ist Macht. Oder auch nicht. Vielleicht führt es ja zur
Kapitulation. Im günstigsten Fall werde ich Gott gegenübertreten. Denn wir
beide haben einiges zu bereden. Er und ich. Obwohl ich seit Monaten jeglichen
Kontakt zu ihm vermieden hatte. Und dafür gibt es einen guten Grund.
    Tu es nicht, Zoe!
    Tu es!
    Denk an das Gefäß!
    Zufall.
    Worte an der Wand eines Badezimmers. Solche
Zufälle gibt es nicht.
    Neugier war der Katze Tod. Und dann der Tod der
ganzen Welt.
    Meine Gedanken wirbeln im Kreis, bis ich sie entschlossen verdränge.
Ich greife nach dem Sperrbalken, der mich an das finstere Mittelalter erinnert.
Er scheint stabil zu sein. Leider habe ich in der Schule nicht besonders aufgepasst,
als es um die geschichtliche Entwicklung von Türen ging.
    Lisa lässt nicht locker. »Sag mir, was ich tun kann.«
    Ich führe ihre Hand an die Querstange.
    Â»Wir schieben das Ding hoch, okay?«
    Â»Okay.«
    Die ständige Feuchtigkeit hat das Holz aufgequollen: Höhnisch wölbt
es sich, als sei es schwanger. Meine Finger zerren von oben, stemmen von unten.
Vergeblich. Lisa setzt ebenfalls ihre ganze Kraft ein. Ihre Miene wirkt
angestrengt und verbissen. Ich sehe vermutlich nicht anders aus.
    Der Balken ruckt, ächzt, schießt raketengleich in die Höhe, und wir
stolpern beide rückwärts.
    Â»Danke«, huste ich. Lisa reibt lächelnd die Handflächen aneinander
und wischt sie an ihren Jeans ab. Dann verneigt sie sich wie eine Turnerin nach
der Kür. Voilà!
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