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Westwind aus Kasachstan

Westwind aus Kasachstan

Titel: Westwind aus Kasachstan
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Aussteigen und kam dann ächzend auf Weberowsky zu.
    »Dieser Staub!« sagte er und hustete wieder.
    »Ein heißer Sommer ist's, Genosse Kiwrin. Aber ein guter Sommer. Das Feld. Sehen Sie sich dieses goldene Feld an! Dieser Weizen! Das Herz lacht einem in der Brust.«
    »Sie scheinen der einzige zu sein, der lacht, Wolfgang Antonowitsch. Uns schlägt die politische Entwicklung über dem Kopf zusammen wie eine Jahrhundertwelle. Ich muß mit Ihnen sprechen.«
    »Über Politik?«
    »Ja.«
    »Hier auf dem Feld?«
    »Da staunen Sie …«
    »Allerdings.«
    »Es geht um Sie, Wolfgang Antonowitsch … um Sie, um Nowo Grodnow, um über eine Million Rußlanddeutsche. Wir haben eine Vorankündigung bekommen. Gorbatschow will der Forderung des Moskauer Kongresses der Rußlanddeutschen folgen und euch umsiedeln.«
    Einen Augenblick schwieg Weberowsky. Er war zu keinem Laut fähig, eine lähmende Starrheit war über ihn gekommen, als stünde er da und sähe das weite Land in einem Feuersturm untergehen. Endlich sprach er, und Kiwrin atmete auf.
    »Schon wieder? Hat 1941 nicht gereicht? Regieren neue Stalins im Kreml?« Weberowskys Mund bewegte sich kaum, als er das sagte, mit einer seltsam hohlen Stimme, wie sie Kiwrin noch nie gehört hatte. »Wohin verbannt man uns diesmal? In den Norden, in die Eiswüste am Kap Deschnew? Warum? Warum? frage ich.«
    »Falsch, Sie verstehen Gorbatschow völlig falsch.« Kiwrin klopfte mit der Faust an das Blech des Mähdreschers. »So wie Amerika uns diese Maschinen schenkte, als Beweis einer neuen Zusammenarbeit, so schenkt man euch jetzt eine wirkliche Heimat.«
    »Seit über zweihundert Jahren war Rußland unsre zweite Heimat.«
    »Die zweite! Und wie ist's mit der ersten? Ha, jetzt reißen Sie die Augen auf, Wolfgang Antonowitsch! Wer tönt da seit Jahrzehnten: Unsere Heimat Deutschland, wir wollen zurück in das Land unserer Väter? Immer habt ihr in den Wind gerufen, und jetzt, wo der Wind sich dreht, steht ihr starr da! Was wollt ihr eigentlich?«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, Genosse Kiwrin …«
    »Nicht mehr Genosse. Sagen Sie einfach Michail Sergejewitsch.«
    »Auf einmal?«
    »Der Wind … ich sage es ja, der Wind … gedreht hat er sich.« Kiwrin wischte sich über die staubige Stirn, dem Blick Weberowskys wich er aus. Früher, noch vor einem Jahr, war die Anrede ›Genosse‹ Pflicht für jeden, der sich Kiwrin näherte. Noch besser war's, wenn man zu ihm ›Genosse Sekretär‹ sagte. Dann öffnete Kiwrin wenigstens ein Ohr für die vorgetragene Bitte. Mit dem Tag, an dem Gorbatschow sein geradezu unfaßbares Reformprogramm von ›Glasnost‹ und ›Perestroika‹ verkündet hatte, kehrte auch Kiwrin eine erstaunliche Jovialität hervor und deutete jedem Besucher an, daß er auf die Anrede ›Genosse‹ verzichten könne. Und als dann noch Jelzin wie ein leuchtender Stern am Kremlhimmel auftauchte und seine – bis jetzt nur versteckt – herbe Kritik an der kommunistischen Partei übte, was – als Russe ist man an Überraschungen gewöhnt – eine völlig verworrene Zukunft andeutete, ließ sich Kiwrin von Besuchern sogar im Gespräch auf die Schulter schlagen oder beim Abschied küssen – rechts, links, rechts –, was früher einer Schändung gleichgekommen wäre. Ein Russe in der Politik muß geschmeidig sein und anpassungsfähig wie ein Chamäleon … wichtig ist, den Stuhl, auf dem man sitzt, nicht zu verlieren.
    »Sie verstehen alles falsch, Wolfgang Antonowitsch«, sagte Kiwrin mit erhobener Stimme. »Keine Zwangsumsiedlung wie bei Stalin! Nein! O nein! Man spricht davon, euch das Wolgagebiet wiederzugeben. Von einem Plan wird geflüstert. Ihr sollt eigenes Land an der Wolga zwischen Saratow und Wolgograd bekommen!« Kiwrin starrte, nach einem langen Atemzug, Weberowsky an. »Sie jubeln nicht, Wolfgang Antonowitsch? Ich habe erwartet, Sie brüllen als Deutscher: Hurra! Hurra! Hurra! Das ist doch sonst üblich bei Ihnen …« Kiwrin stieß den Kopf nach vorn wie ein nach Körnern pickender Hahn. »Begreifen Sie doch: Rußland schenkt euch Land an der Wolga. Und Gorbatschow hat sogar zu verstehen gegeben, daß diejenigen, die nicht in Rußland bleiben wollen, nach Deutschland zurückkönnen.«
    »Nach über zweihundert Jahren solch ein Angebot.«
    »So großzügig sind wir mit unserem Glasnost geworden!«
    Kiwrin sah Weberowsky mit einem lauernden Blick an. »Was wählen Sie? Wolga oder Deutschland?«
    »Muß ich mich jetzt entscheiden? Jetzt, auf der
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