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Wesen der Nacht

Wesen der Nacht

Titel: Wesen der Nacht
Autoren: Brigitte Melzer
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alles in Ruhe an, nickte hin und wieder oder runzelte die Stirn, unterbrach mich aber kein einziges Mal.
    »I n dieser Stadt gibt es eine Menge schräger Gestalten.« Er sprach die Worte langsam und bedächtig aus, als hätten sie noch eine andere, unterschwellige Bedeutung. Wenn das der Fall war, verstand ich sie nicht.
    Da er eine Antwort von mir zu erwarten schien, ich aber nicht recht wusste, was ich erwidern sollte, sagte ich: »S pinner gibt es wirklich überall.«
    Einen Moment lang wirkte er beinahe resigniert, dann reichte er mir die Hand und half mir auf die Beine. »K omm, ich bring dich nach Hause.«
    Ich klopfte mir den Straßenstaub vom Rock und von der Bluse und zupfte alles so weit zurecht, dass ich halbwegs normal aussah. Meine Knie waren wie Pudding. Vorsichtig wie ein Kleinkind, das gerade laufen lernte, tappte ich hinter ihm an der Mauer entlang in Richtung der Einfahrt. »W oher wussten Sie überhaupt, was hier los ist?«
    »M ein Hund hat ein gutes Gehör und noch bessere Instinkte.«
    »U nd wo ist er jetzt?«
    Gus wies vage die Straße entlang. »E r ist dem Wagen hinterhergelaufen. Bestimmt kommt er bald zurück.« Wir gingen schweigend nebeneinander her. Es war ein gutes Schweigen, das eine beruhigende Wirkung auf mich und meine zitternden Hände und Knie hatte. Allerdings nur für kurze Zeit. »G laubst du, dass es Dinge gibt, die nicht in unsere Welt passen?«, fragte Mr Miller plötzlich.
    »M athematik«, witzelte ich, weil mir im Augenblick nicht der Sinn danach stand, mich mit ernsten oder gar tiefschürfenden Fragen zu beschäftigen. »D ie passt zumindest nicht in meine Welt.«
    Mr Miller ließ sich nicht beirren. »I ch dachte eher an etwas weniger Logisches.«
    »Ü bernatürliches?«
    Er zuckte die Schultern und verzog das Gesicht, als sei ihm seine Frage im Nachhinein peinlich. Das brachte mich zum Lachen. »M ir fällt es schon schwer zu glauben, dass die Leute sind, wie sie sind. Da brauche ich nun wirklich nicht noch irgendwelchen Geisterkram.«
    Ein paar Herzschläge lang sah er mich nur ernst an. Schließlich sagte er: »D u musst in Zukunft vorsichtiger sein.«
    »W egen der Geister?« Noch immer weigerte ich mich, darüber nachzudenken, was gerade geschehen war, doch Mr Miller sah mich auf eine Weise an, dass mir das Grinsen schlagartig verging. »O kay«, stimmte ich kleinlaut zu und war mir sicher, dass es mir nicht schwerfallen dürfte, dieses Versprechen einzuhalten. Vermutlich würde ich zumindest in der nächsten Zeit hinter jedem Schatten eine Gefahr wittern und sofort das Weite suchen. Studenten, Lieferwagen und Tätowierte standen ab sofort ganz oben auf meiner schwarzen Liste der bösen Dinge.
    Wir hatten die Einfahrt erreicht, doch statt in sein verwaistes Wachhäuschen zu gehen, das wie ein übergroßer Karton rechts vom Tor stand, hielt er geradewegs auf die schmiedeeiserne Fußgängerpforte zu. Die Scharniere quietschten ärgerlich, als er sie öffnete und zur Seite trat, um mich durchzulassen.
    Ich blieb stehen. »D anke, Mr Miller. Vielen, vielen Dank. Ich weiß nicht, was ich ohne Sie gemacht hätte.« Oder was diese Typen mit mir gemacht hätten.
    »S chon in Ordnung.« Zum ersten Mal stahl sich so etwas wie ein Lächeln in seine zerfurchten Züge. »E s ist immerhin mein Job, auf die Bewohner dieser Anlage aufzupassen. Ich werde dafür sorgen, dass die Tore für die nächste Zeit geschlossen bleiben. Meine Kollegen werden ein besonderes Auge darauf haben, wer herein will.« Mr Miller deutete in die Bäume und erst auf den zweiten Blick entdeckte ich eine gut verborgene Videokamera. Das war London, Kameras waren hier an der Tagesordnung und natürlich wurden sie auch in unserer Anlage genutzt. Trotzdem waren sie mir bisher nicht aufgefallen, während die CCTV -Kameras auf den Straßen allgegenwärtig waren. »G ehen wir, ich werde deiner Mom alles erklären.«
    Ach du Scheiße! Mom würde ausrasten! Selbst wenn keine Gefahr drohte, machte sie sich ständig Sorgen um mich und hätte mich am liebsten in einen kleinen goldenen Käfig gesperrt, um mich vor der bösen Welt da draußen zu beschützen. Erst nach meinem vierzehnten Geburtstag war es mir gelungen, mir ein bisschen Selbstständigkeit zu erkämpfen und Mom davon abzubringen, mich jeden Tag zur Schule zu bringen und wieder abzuholen. Oder darauf zu bestehen, dass Peppers Mom oder ihre Schwester Ally es taten. Ich hatte nicht einmal aus dem Haus gehen dürfen, ohne dass Pepper oder jemand anderes
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