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Werbevoodoo

Titel: Werbevoodoo
Autoren: Ono Mothwurf
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arbeiten durfte, sondern in Starnberg. Und auch nicht bei einer kreativen Top-Adresse, sondern in einem Laden, dessen Kreativität sich auf die Ausrichtung des jährlichen Sommerfestes konzentrierte.
    Dieses Fest hatte es allerdings wirklich in sich: eine berühmte Jazz-Band, ein berühmter Koch, vier berühmte DJs, ein Dutzend berühmter Gesichter aus Film und Fernsehen, ein paar berühmte Musiker, ein paar Klatschreporter und dazwischen verzückte Anzugträger, die sich einen Abend lang als Stars fühlen durften und nicht als Werbeleiter. Der alte Schneidervater führte sie alle zusammen. An Leinen, die er ein Jahr lang ausgelegt hatte. »Dieses Fest, mein Junge«, sagte er eines Abends zu Timo, »ist das erfolgreichste Akquise-Instrument, das sich jemals eine Werbeagentur ausgedacht hat. Freu dich drauf, in zwei Wochen erlebst du dein erstes!«

2. Selena
    Selena blickte zur Decke. Lichter wie helle, leuchtende Wasserpflanzen kletterten flink die Wand hoch und sprangen von der Wand hinauf zur Decke. Von dort aus drehten sie sich träge einmal im Kreis und huschten dann wieder die Wand hinab. Selena konnte ihren Blick nicht von dieser Erscheinung abwenden.
    Eine kleine Spieluhr wiederholte zum dritten Mal die Melodie eines Wiegenlieds von Mozart.
    Selena ging auf das Babybett zu und streckte die Hand aus. »Sch-schschsch-sch!«, sang sie leise und strich zart über den Hinterkopf des kleinen Konstantin. Der wollte eigentlich gerade mit dem Schreien beginnen und auf diese Weise ›ich bin (gähn!) überhaupt nicht müde (gähngähn!!) und überhaupt, mach’ die blöde Spieluhr aus (gähngähngähn!)‹ zum Ausdruck bringen. Selena war ihm, wie so oft, zuvorgekommen, sodass sich das angedeutete Schreien in einem zufriedenen Seufzer auflösen konnte.
    »Wie machen Sie das nur, Selena?«, fragte Marianne sie immer wieder, »bei uns schreit Konstantin die Nächte durch.« Selena zuckte dann immer nur mit der Schulter und lächelte Marianne, die Mutter von Konstantin, an. Sie hätte mit ihrem harten kroatischen Akzent natürlich auch › weiss auk nickt‹ sagen können, aber sie fühlte sich in ihren Liedern und Zeichen und Blicken und Gesten viel wohler als in der deutschen Sprache, die ihr unmelodiös und unsicher erschien.
    Vielleicht war das auch der Grund, warum Konstantin ihr so vertraute. Schließlich bewegte er sich mit seinen eineinhalb Jahren und seinen drei Worten, die man mit viel Wohlwollen aus dem Gebrabbel heraushören konnte, auch nicht besonders souverän inmitten von Menschen, die ihn mit einem aktiven Wortschatz von 9.900 (bei Mama) und 900 Worten (bei Papa) umgaben. Da war ihm die Art, wie sein Kindermädchen mit ihm über Blicke, Berührungen, Gesten und lustige Quietschlaute kommunizierte, um einiges sympathischer.
    Selena sah drei tiefe Atemzüge und wusste, dass sie das Licht der Drehlampe ausmachen konnte. Ihre Hand fand das Kabel, glitt unhörbar nach oben, nahm den Schalter zwischen die Finger, und die hellen Wasserpflanzen an der Decke lösten sich in der freundlichen Dunkelheit des Zimmers auf. Ohne ein weiteres Geräusch zu machen, huschte sie aus dem Raum. Dicht an ihre Beine geschmiegt glitt eine Katze mit hinaus, die sie keine Sekunde aus den Augen gelassen hatte. Vor ein paar Tagen war sie bei den Thamms eingezogen, sie hatte noch keinen Namen, Selena hatte festgestellt, dass sie auf Charlie reagierte, also war das der vorübergehende Name des Findelkinds, bis der Familienrat sich geeinigt hatte. Aber vielleicht blieb es auch dabei, »Hmh, Charlie? Charlie, Charlie, Charlie?« Sie beugte sich hinunter und kraulte die Katze hinterm Ohr.

     
    Selena war nicht sicher, was sie vom anbrechenden Abend halten sollte. Eigentlich freute sie sich seit Wochen darauf. Sie wollte nun nach Hause fahren, 100 Kerzen anzünden, eine Flasche von Vaters Wein öffnen, ein bisschen Brot, Käse und Speck dazu servieren und Timo fest an sich drücken. Und dann würde sie ihm den wunderschönen, dicken weißen Schal schenken. Sie hatte ihn den Winter über aus feinster Merinowolle selbst gestrickt. Aus fünffädigem, dickem Garn. Oma Amalia hatte ihr alles über Merino beigebracht, sie hatte selbst auf ihrem Hof in der Nähe der Plitvice-Seen im damaligen Jugoslawien ein paar 100 Merinobergschafe gehabt und wusste, wie man das Fell zu feinster Wolle verarbeitete. Sie wusste, wie schön Merino die Temperatur ausgleichen konnte, sodass es im Winter nicht zu kalt und im Sommer nur selten zu heiß wurde. Sie
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