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Werbevoodoo

Titel: Werbevoodoo
Autoren: Ono Mothwurf
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wusste auch, dass der Händler, dem sie die unbearbeitete Wolle verkaufte, sie als Himalaja-Merino weiterverkaufte, das war alles noch lange bevor sie über Nacht ihren Hof verlassen mussten, um Richtung Norden zu fliehen, um dem Bruderkrieg, der ihr Land danach verwüsten sollte, zu entkommen. Im Februar 1991, drei Tage, bevor der Krieg begann.
    Großmutter hatte gesagt: › Wir müssen gehen. ‹ Keiner hatte ihr widersprochen. Der 25-köpfige Clan vertraute sich ganz dem Gefühl von Amalia an. Und so zogen sie nach Fürstenfeldbruck, wo ein Teil der Verwandtschaft als Maurer und Fliesenleger eine neue Existenz gefunden hatte. Anfangs hatten sie sich mithilfe von Pfarrer Weißenbacher in den damals noch unrenovierten Klosterstallungen von Fürstenfeld einquartiert, den feuchten, kalten Katakomben, die im Winter nicht warm und im Sommer nicht trocken wurden. Es war hart gewesen. Das Asylrecht konnten sie nicht in Anspruch nehmen, dafür waren sie einfach zu früh geflüchtet, also waren sie Wirtschaftsflüchtlinge, und damit täglich von der Ausweisung bedroht. Aber es gelang ihnen, sich unentbehrlich zu machen. Amalia pachtete ein Grundstück und nahm die Merino-Zucht wieder auf (sie verstand, wie man die empfindlichen Bergschafe gesund durch die heißen Sommer brachte). Und sie fand einen Händler, der dringend nach Himalaja-Wolle suchte und auch bereit war, Himalaja-Preise zu bezahlen. Die anderen Familienmitglieder fanden genauso Arbeit. Abends saßen sie fassungslos vor den Fernsehern und betrachteten die Bilder aus ihrer brennenden Heimat. Die alte Amalia saß nie dabei. Sie musste es nicht noch einmal durchmachen. Sie hatte alles bereits vorhergesehen.
    Selena war als Einzige weggezogen aus Fürstenfeldbruck, nach München, zu Timo, in eine kleine Wohnung. Eigentlich war das unmöglich für eine traditionelle kroatische Familie, aber Oma Amalia sah, dass es gut war, sie mochte Timo, und so fand das Paar den Segen der ganzen Sippe. Ab und zu, an den Wochenenden, rückten sie alle in Amalias kleiner Küche zusammen, da war auch Timo dabei, und die Familie merkte, dass er ein guter Kerl war. Sie waren auch ein bisschen stolz auf Selena, darauf, dass sie einen echten Bayern zum Freund hatte. Auch wenn Timo mit Lederhosen nichts am Hut hatte und kaum Dialekt sprach, es war, als wäre die Familie erst durch die Verbindung zu Timo richtig in Bayern angekommen.
    Heute Abend wollten Timo und Selena ihren zweiten Jahrestag feiern. Seit vier Tagen hatten sie sich nicht gesehen. Timo musste die letzten Nächte bis elf in der Agentur schuften, und Selena hatte als Konstantins Babysitterin bei den Thamms übernachtet.
    Selenas Telefon läutete. Sie sah, dass es Timos Agenturanschluss war.
    »Lena, wie geht’s dir?«
    Selena ahnte, dass sich ihr Gefühl bewahrheiten sollte. »Gut. Hungrig. Lustig.« Lustig bedeutete, dass sie Lust hatte auf Timo.
    Ein müder Timo antwortete ihr: »Ich bin auch hungrig und lustig. Aber ich kann noch nicht losfahren.«
    »Was soll das heißen? Du kannst nicht. Bist du Sklave oder was?« Telefonieren mit Selena war manchmal eine etwas unangenehme Sache. Es klang viel härter, als es gemeint war. Man konnte ihre Direktheit leicht falsch verstehen, was Timo aber nicht mehr passierte. Er hatte ihr Gesicht vor Augen und wusste, wie sie es meinte.
    »Lenalenalena, du hast ja recht. Ich bin ein Sklave«, entgegnete er schwach.
    »Sogar Sklave hat Feierabend.« Sie ließ nicht locker. »Du nicht. Aber wenigstens verdienst du viel Geld. 630 Euro. Jeder Azubi verdient mehr«, spottete Selena verächtlich ins Telefon.
    »Lena, jetzt tust du mir auch noch weh. Ich muss heute noch fünf Anzeigen fertig machen. Und dieser Idiot von Arnold will mich fertigmachen.«
    »Was ist fertigmachen?«
    »Arnold kann mich nicht leiden. Er weiß, dass ich besser bin als er. Aber er zerstört jede Idee. Ich muss alles einfach nur so umsetzen, wie er es will. Es kotzt mich an.«
    »Dann kotz doch und komm nach Hause.«
    »Dann habe ich morgen keinen Job mehr.«
    »Aber Chef, alter Vaterschneider, sagt doch immer, du bist die Zukunft der Firma!«
    »Ja, aber wenn Arnold mich raushaut, wird niemand etwas dagegen unternehmen. Auch der alte Schneidervater nicht. Und wenn es hier wieder nicht klappt, dann kann ich mir einen neuen Beruf suchen.«
    »Gut. Machst du in Merino. Ist schöner Beruf!«
    »Das glaube ich schon. Ich will aber keinen anderen Beruf machen.«
    »Dann du wirst immer Sklave bleiben. Timo, ich will keine
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