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Titel: Werben
Autoren: Eric Zimmermann
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ist nicht nur meine Lieblingsarbeitskollegin, sondern auch noch die einzig halbwegs ernstzunehmende Konkurrentin meiner flüchtigen Zugbekanntschaft. Dabei entspricht sie – bei Lichte besehen – gar nicht meinem Beuteschema: zierliche einssechzig Meter klein mit langen, glatten blonden Haaren und großen blauen Augen, die einen leichten Aquamarinstich haben. Ihr Lächeln würde einen sogar die Schmerzen einer soeben durchgeführten Beinamputation vergessen lassen.
    Seit Monaten rede ich mir ein, dass ich es bei Lea erst richtig versuchen werde, wenn es bei Frau Numero eins nicht geklappt hat. Da ich es aber bei Frau Numero eins nicht mal probiere, kann ich nie zu Frau Numero zwei wechseln. Was in meiner verrückten Logik dazu führt, dass es mit keiner von beiden jemals funktionieren wird. Lea ist somit meine Ausrede für eine andere Ausrede.
    Die Epiphanie im allmorgendlichen Pendlerzug ist schlicht meine wahre Liebe – comprende? Es ist kompliziert, ich weiß. Ich sollte diese Gleichung schematisch darstellen, da ich ihr selbst nicht immer folgen kann …
    Immerhin: Mit Lea rede ich zumindest. Ja, wir sind sogar gut befreundet. Natürlich muss ich selbst zugeben, dass unsere gemeinsame Arbeit ein Miteinandersprechen zwingend erforderlich macht. So wurden leider Rauchzeichen in der neuen Hausordnung verboten. Und meine afrikanischen Signaltrommeln wurden mir letzthin entwendet.
    Während Lea eine gelernte GTA – Gestaltungstechnische Assistentin  – ist, habe ich als reiner Autodidakt meinen Weg in die Firma gefunden. Seitdem programmiere ich Webapplikationen, PHP-Skripte und alles, was es erforderlich macht, sich stundenlang durch drögen Quelltext zu quälen. Nachdem ich mein BWL-Studium vor zwei Jahren abgebrochen hatte, weil ich feststellen musste, dass ich nicht Wirtschaftsprüfer wie mein Vater werden wollte, wurde aus dem Nebenjob – notgedrungen – eine Vollzeitstelle. Wirtschaften wollte ich fortan nur noch nach Feierabend prüfen.
    Meine Arbeit ist leider wenig kreativ. Daher fühle ich mich zeitweise wie ein Kollege zweiter Klasse und muss alles erledigen, woran die Grafikdesigner im Hause keine Freude finden. Fast nie habe ich die Möglichkeit, mein gestalterisches Talent unter Beweis zu stellen und arbeite daher an meinen Layouts meist im Geheimen. Tatsächlich träume ich von einem Grafikdesign-Studium an der KISD – Köln International School of Design  – habe es jedoch bislang versäumt, meine Bewerbungsunterlagen einzureichen, um einer etwaigen Abweisung bei der Aufnahmeprüfung zu entgehen. Mit der Bewerbung ist es so ähnlich wie mit meinem Vorgehen beim anderen Geschlecht – unter Umständen würde mir auch hier eine schematische Darstellung behilflich sein. Denn manchmal ist halt der Weg der Weg und nicht das Ziel das Ziel … oder so ähnlich.
    Lea wirft mir wieder eins der eben erwähnten schmerzstillenden Lächeln zu. Gerade hat sie erneut mein Schienen-Schätzchen in der Beliebtheitsskala überholt. Beide liefern sich täglich einen fairen Wettkampf. Ihre Führung wird zwar nur bis zur morgigen Zugfahrt anhalten, aber was soll’s: Prinzesschen hat eh einen Freund und ist dadurch – so ähnlich wie im indischen Kastensystem – eine Unberührbare . Nur hat sie kein Lepra oder etwas Vergleichbares. Ihre Haut ist makellos schön.
    Sie kommt aufs Neue näher. In einem halben Meter Entfernung sehe ich nun, dass sich zu der Präsentation ihrer weißen Zähne von vorhin auch ein paar Sorgenfältchen dazugesellen.
    »Herr Beaujean sucht dich schon den ganzen Vormittag. Er will DICH sehen – und zwar sofort!«, raunt sie mir zu.
    Ich werde nervös. Mein Deodorant muss Höchstleistungen vollbringen. » Ähhh  … aber warum sucht der mich? Ich habe doch erst Freitagnachmittag mit ihm gesprochen – im Aufzug.«
    » Herr Stolle , fragen Sie nicht so doof! Er will natürlich wissen, wie’s mit dem Veggie-Shop ausschaut. Du bist jetzt fast zwei Wochen über der Deadline.«
    In meinem Kopf beginnt es, sich zu drehen.
    Mein Chef ist zumeist ein herzensguter Mensch und ich hasse es, ihn zu enttäuschen. Der Umstand, dass ich mich momentan einfach überfordert fühle, wollte mir – in seiner Gegenwart – bislang nicht über die Lippen kommen. Bestimmt hätte er wenig Verständnis.
    »Ich spreche nach der Mittagspause mit ihm. Zuerst muss ich ein paar PHP-Skripte auf den Server hochladen.«
    »Okay. Suuupi . Ich wollte dich auch nur vorwarnen!«, sagt sie und schwebt
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