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Titel: Werben
Autoren: Eric Zimmermann
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Boss. Unverkennbar seine Glatze, nicht zu übersehen eine seiner bunten Fliegen, die er anstelle von Krawatten bevorzugt. Er tritt ans Pissoir.
    Noch während er sich erleichtert, komme ich versehentlich an das Trackpad meines Laptops und aktiviere in meiner Musik-Bibliothek eine Playlist namens Kabine Nummer Sieben – Give piss a chance .
    Ein Aerosmith-Hit ertönt. Laut hallt es von den gefliesten Wänden wider: I don’t want to piss  – ich meine miss  – a thing .
    Ich laufe rot an. Meine Schweißdrüsen beginnen, auf Hochtouren Flüssigkeit von sich zu geben. Schließlich klopft es an der Kabinentür.
    »Hallo Andreas. Sind das Sie?«, höre ich Herrn Beaujean in einem ironischen Ton sagen. »Ein tolles Lied. Sie wissen ja: Rockmusik mag ich auch.«
    Ich bin der Verzweiflung nahe.
    Er fährt fort: »Hören Sie. Ich weiß, dass Sie im Moment unter Stress stehen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Sie hier arbeiten. Unser IT-Techniker hat mir die Server-Protokoll-Daten gezeigt. Ich weiß, dass Sie unter Ihrem Benutzernamen im Netzwerk aktiv sind, obwohl Sie nicht an Ihrem Platz waren. Kommen Sie doch raus, Herr Stolle, und lassen Sie uns offen über alles reden.«
    Mit zitternden Händen und durch ein Desinfektionstuch geschützt, drücke ich die Klinke herunter und verlasse meine Ruhezone.
    » Ähem . Hallo Herr Beaujean. Das wirkt jetzt komisch. Ich weiß … ich …«
    Er unterbricht mich: »Andreas, Sie erledigen Ihre Arbeit sonst immer ordentlich. Als Ansporn für den Veggie-Shop wollte ich Ihnen heute den ganzen Tag mitteilen, dass Sie bei Fertigstellung innerhalb der nächsten zwei Wochen eine Prämie erhalten werden. Sollten Sie allerdings weiterhin derart trödeln, müssen wir einmal ernsthaft über Ihre Zukunft in dieser Agentur reden.«
    »I-I-Ich, ich weiß nicht, was ich sagen soll, Herr Beaujean«, stottere ich wie Colonel Scatman.
    »Sagen Sie einfach Okay . Legen Sie sich ab jetzt mehr ins Zeug und kommen Sie morgen in alter Frische wieder!«
    »Okay?«, bringe ich nur schüchtern fragend hervor.
    »Übrigens«, sagt er und schnappt sich die neueste Ausgabe des Focus . »Als ich mit meinem Diplom von der Werkkunst-Schule kam und bei einer Agentur eingestiegen bin, hatte ich auch manchmal das Gefühl, dass ich meinem Job nicht gewachsen bin. Ich war ja kaum älter als Sie. Wir hatten seinerzeit, mit unseren Reißbrettern, leider keine Möglichkeit, auf der Toilette zu arbeiten. Dafür gab es aber eine schöne Kneipe namens Bit am Graben in der Nähe. Nur so als Tipp: Ein Feierabendbierchen ist nie verkehrt!«
    Die letzten Silben aussprechend verschwindet er mit einem breiten Grinsen und dem Heft unter dem Arm auf der Toilette.

Drittes Kapitel

    Home, sweet lonely home

    Bevor ich die Einsamkeit meiner eigenen vier Wände in Deutschlands deprimierendster Innenstadt genießen kann – und zwar Düren City –, habe ich noch ein kleines Abenteuer zu überstehen.
    Als ich nämlich mit einem sportlichen Sprint durch den dortigen Bahnhof versuche, einem sehr gut aussehenden Blondchen mit Hund zu imponieren, stolpere ich und reiße mir dabei – im wahrsten Sinne des Wortes – den Arsch auf.
    Ein zwanzig Zentimeter langer Riss im Hinterteil meiner Jeans offenbart nun die Errungenschaft meines Türkeiaufenthalts. Für alle Anwesenden gut sichtbar, ist dort KC – Külvün Clün zu lesen.
    Der Hund der Blondine scheint mich auslachen zu wollen. Jedenfalls hört sich sein Bellen so an. Mit seinem heißen, stinkenden Atem kommt er meinem Gesicht gefährlich nahe, während ich auf dem Boden kauere. Die Frau kommt zum Ort des Geschehens herbeigeeilt. Jetzt bemerke ich: Sie muss – ehemals – sehr schön gewesen sein.
    Recht freundlich kommt es aus ihrem von Falten und Damenbart umgebenden Mund: »Kann ich Ihnen helfen?«
    Ihre braunen Zähne entblößen sich und ich kann neben einer Alkoholfahne ein leichtes Sächseln feststellen. Immerhin: Der Zustand ihrer Kauleiste erinnert mich an meinen Zahnarzttermin diese Woche. Jetzt weiß ich, dass meine sportlichen Aktivitäten für heute – unabhängig davon – umsonst waren. Ich bedanke mich bei Miss FDJ 1960 und gehe meines Weges.
    Um meinen Hintern nicht allen Einwohnern der mir so verhassten Stadt zu präsentieren, justiere ich den Tragegurt meiner Umhängetasche so, dass diese länger als sonst an mir herunterbaumelt. Auf diese Weise wird es mir möglich, meinen gepeinigten Allerwertesten vor fremden Blicken zu schützen.
    Nun wandere ich
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