Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werben

Werben

Titel: Werben
Autoren: Eric Zimmermann
Vom Netzwerk:
mit Horst K. untertitelt ist. »Ja – meine Kindheit war nisch leischt. Datt Jehänseltwerden. Die Schläje und Tritte. Ett war mein Wesch in den Alkohol. Seit der Therapie und Namensänderung jeht ett misch aber wieder besser.«
    Derartige Betrachtungen lassen mich schmunzeln und in mir zudem den nachträglichen Wunsch aufkeimen, dass ich mein Studium, vor dem Abbruch, mit vergleichbarem Enthusiasmus hätte führen sollen.
    Um die Dunkel-Vokal-These zu prüfen, setze ich – zum allerersten Mal an diesem Tage – mein Gehirn richtig unter Strom. Meine Synapsen kommen in Fahrt und freuen sich auf die Arbeit, wie meine Leber auf ihr Samstagabendpils. Ich denke an alle mir bekannten Leute mit dunklen Vokalen in ihren Namen und vergleiche sie mit den Menschen, die Hell-Vokal-Namen besitzen.
    Schließlich komme ich darauf, dass die ganze Behauptung völliger Bockmist sein muss! Haben diese Forscher denn nicht voraussehen können, dass es viel später einen kleinen Eisbären namens Knut geben würde, der eine ganze Nation über Wochen in Atem halten und gar die Titelseiten aller großen seriösen Zeitungen füllen würde?
    Nein, sage ich mir selbst, der dunkle Vokal O  – im Wort Horst – kann nicht Ursache der Redensart sein. Wahrscheinlich war die Studie, die zu diesem Theorem geführt hat, von derselben Forschergruppe erstellt worden, die behauptete, dass Männer, die sich trocken rasieren, den Nassrasierer-Kerlen im Bett klar überlegen seien. Denn auch diese Theorie konnte ich vor einiger Zeit, in einem der kleinen morgendlichen Diskurse, widerlegen.
    Galt denn beispielsweise Casanova als schlechter Liebhaber? Wohl kaum, obwohl er doch ganz bestimmt gezwungen war – mangels Elektrizität in seiner Epoche – scharfe Klingen anstelle stumpfer Scherblätter zu benutzen. Diese Untersuchung musste mit Sicherheit von einem der bekannten Elektrorasiererhersteller wie Braun , Philips oder Remington in Auftrag gegeben worden sein.
    Auch eine sehr gute Art kostenloser Werbung, finde ich. Zudem haben neue Erfindungen – wie beispielsweise Nassrasierer mit eingebautem elektrischen Vibrator – solche Behauptungen ohnehin ad absurdum geführt.
    Während ich den letzten Gedanken zu diesem Sujet nachhänge, erreiche ich die Theaterstraße und trete durch die von Sonne durchflutete Toreinfahrt meiner Arbeitsstätte. Oder, wie ich sie – wegen des dort vorherrschenden, teils sehr derben Humors – nenne: das Biotop der Bekloppten .
    Ich schaue auf die Uhr. Glück gehabt – auf die Sekunde exakt angekommen. Meine Arbeit beginnt um neun Uhr. Nun ist es zwölf nach neun. Nicht zu pünktlich sein, lautet die Devise. Zuspätkommer sind genauso unbeliebt wie die, die zu früh auf der Matte stehen. Die Späten sind Deppen, die den Chef nicht respektieren wollen und deswegen auch von den Kollegen nicht gemocht werden. Die Zufrühkommer wiederum sind Schleimer vor dem Herren und werden aus diesem Umstand heraus – wenn überhaupt – nur vom Boss geachtet, wobei die Belegschaft sie in jedem Fall als Arschkriecher verschreit.
    Die Normalos  – wie ich einer sein will – sind hingegen weder exorbitant populär noch übermäßig verhasst. Normal eben.
    Über den Hof, der zum ehemaligen Gelände einer Tuchfabrik gehört, gelange ich in unseren Trakt. Optisch erinnert alles an einen dieser schönen Industriebauten aus der Jahrhundertwende. Rote Backsteine verleihen dem Neubau ein Retro-Feeling.
    Kurz vor dem Erreichen des Fahrstuhls begegne ich dem Hausmeister – Entschuldigung, neuerdings heißt es Haustechniker  – unseres Firmengebäudes, der gerade etwas an der Wand befestigt.
    Er begrüßt mich mit Handschlag: »Challo, O-O-O-Ondre.«
    Dass meine Eltern mich Andreas und nicht André getauft haben, habe ich nach fünf Jahren Bekanntschaft aufgegeben zu erklären. Colonel Scatman – wie wir ihn wegen seines Stotterproblems und des angeblichen Dienstes in der Fremdenlegion nennen – schüttelt einem jedes Mal die Flosse, wenn man ihm begegnet.
    Sein Motto lautet nämlich: »L-L-Lieba treimal die Chand geben und Challo sagen, als kainmall.«
    Unter anderen Voraussetzungen wäre mir dies eine große Freude, aber ihm fehlen Teile des rechten Ring- sowie Mittelfingers – ein seltsames Gefühl. Ob das kleine Handicap von seiner Karriere in der Legion oder einem mangelnden Talent als Handwerker herrührt, weiß niemand so genau.
    »Guten Morgen, Louis«, grüße ich zurück.
    Der Umstand, dass ein Endfünfziger mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher