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Wer Wind sät

Wer Wind sät

Titel: Wer Wind sät
Autoren: Nele Neuhaus
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ihrem Beruf schon viel gesehen, trotzdem hob sich ihr Magen angesichts der Fliegen, die auf der Leiche herumkrabbelten. Nur ihre professionelle Selbstbeherrschung verhinderte, dass sie sich vor dem neuen Kollegen übergab.
    Â»Wieso denkst du, dass es sich um einen Unfall handelt?«, fragte sie und kämpfte den Brechreiz nieder. Die Hitze, die in der großen Halle herrschte, trieb ihr den Schweiß aus allen Poren. »Puh! Kann man nicht mal die Klimaanlage einschalten oder die Glaskuppel öffnen?«
    Â»Untersteh dich!«, rief Henning, der gerade einen weißen Einwegoverall überzog. »Wehe, du versaust mir den Fundort.«
    Pia bemerkte den erstaunten Blick ihres neuen Kollegen.
    Â»Wir waren mal verheiratet«, gab sie als knappe Erklärung. »Also, was denkst du?«
    Â»Es sieht so aus, als sei er gestolpert und die Treppe hinuntergefallen«, erwiderte Cem Altunay.
    Â»Hm.« Pias Augen folgten der Treppe, die sich in einem sanften Bogen hoch in den dritten Stock schwang. »Konntest du schon mit der Frau sprechen, die ihn gefunden hat? Was macht sie überhaupt morgens um halb sieben hier?«
    Henning klappte geräuschvoll seine Koffer auf. Die Fliegen summten um ihn herum, als er sich nun über die Leiche beugte und sie kritisch betrachtete.
    Â»Angeblich fängt sie immer so früh an. Arbeitet in der Buchhaltung.« Altunay drehte sich zu der Frau um, die noch immer reglos auf dem Stuhl saß. »Sie steht unter Schock. Offenbar haben sie und der Tote sich gut verstanden, öfter morgens eine Tasse Kaffee zusammen getrunken.«
    Â»Aber wieso soll er einfach so die Treppe hinuntergefallen sein?«
    Â»Er hatte wohl ein Alkoholproblem, das behauptet auf jeden Fall die Buchhalterin«, antwortete Cem Altunay. »Die Leiche riecht auch nach Alkohol, und in der Teeküche hinter dem Empfangstresen steht eine angebrochene Flasche Jack Daniels.«
    *
    Der dunkelbraun gekleidete Fahrer vom Paketdienst schnaufte, als er ihr das elektronische Gerät und den Stift entgegenhielt, damit sie die Lieferung quittierte.
    Sie kritzelte ihre Unterschrift auf das zerkratzte Display und lächelte zufrieden. Der Mann machte sich keine Mühe, seinen Unmut darüber zu verbergen, dass sie ihn gezwungen hatte, die Pakete ins Lager zu schleppen, anstatt sie einfach auf dem Hof abzustellen. Aber das war Frauke Hirtreiter ziemlich schnuppe.
    Sie ging in den Verkaufsraum, schaltete das Licht ein und blickte sich um. Auch wenn der Laden genaugenommen Ricky gehörte, liebte sie ihn, als sei er ihr Eigentum. Endlich hatte sie einen Platz im Leben gefunden, an dem sie sich rundum wohl fühlte. Das »Tierparadies« verdiente seinen Namen; es hatte nichts mit den muffigen, feuchten, schlecht beleuchteten Zoogeschäften zu tun, die Frauke aus ihrer Kindheit kannte. Sie öffnete die Tür zum Nebenraum, in dem sich der Hundesalon befand. Das war ihr Reich. In Abendkursen hatte sie eine Ausbildung zum Hundefriseur – heute nannte man das »Groomer« – absolviert, ihr Service wurde von der Kundschaft gut angenommen und rechnete sich. Dazu kamen Rickys Hundeschule und seit ein paar Wochen noch der Onlineshop, der immer besser lief. Frauke ging durch den Laden zurück ins Büro, wo Nika schon am Computer saß und die eingegangenen Bestellungen abfragte.
    Â»Wie viele sind es?«, erkundigte sich Frauke neugierig.
    Â»Vierundzwanzig«, antwortete Nika. »Eine Steigerung von hundert Prozent im Vergleich zu Montag letzter Woche. Ich kann nur die neuen Artikel nicht eingeben.«
    Â»Warum?« Frauke nahm zwei Kaffeetassen aus dem Hängeschrank, der über dem Spülbecken in der Miniküche hing. Die Kaffeemaschine gluckste und blubberte eifrig.
    Â»Keine Ahnung. Es ist immer dasselbe Problem. Ich gebe den Artikel ein, aber wenn ich ihn speichern will, passiert nichts.«
    Â»Das soll Mark sich mal anschauen. Er hat sicher eine Idee.«
    Â»Ist wohl das Beste.« Nika gab einen Druckbefehl, und wenig später spuckte der Tintenstrahldrucker die Bestellungen aus. Sie streckte sich gähnend. »Ich geh rüber ins Lager.«
    Â»Lass uns doch erst einen Kaffee trinken. Ist ja noch etwas Zeit.«
    Sie schenkte Kaffee in zwei Tassen und reichte eine Nika.
    Â»Milch ist schon drin.«
    Â»Danke.« Nika lächelte und pustete in den heißen Kaffee.
    Frauke war heilfroh, dass Nika das Team im Tierparadies verstärkte,
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