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Wer Wind sät

Wer Wind sät

Titel: Wer Wind sät
Autoren: Nele Neuhaus
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das konnte nur eines bedeuten: Er hatte erfahren, welche Gefahr ihm drohte, und wollte um jeden Preis verhindern, dass Cierans Entdeckung an die Öffentlichkeit kam.
    Unter Missachtung sämtlicher Geschwindigkeitsbeschränkungen raste sie die B 1 Richtung Zehlendorf entlang, die Augen immer auf den Rückspiegel gerichtet, doch obwohl es nur noch gut zwei Stunden bis Mitternacht waren, war auf den Straßen viel los. Welches Scheinwerferpaar gehörte zu dem schwarzen VW -Bus ihrer Verfolger? Am Kreuz Zehlendorf war sie zu schnell und verpasste die Abfahrt zur AVUS . Verdammt, jetzt musste sie die Potsdamer Allee entlangfahren, quer durch Steglitz und Friedenau, und da kannte sie sich überhaupt nicht aus! Zu allem Unglück stand die Nadel der Tankanzeige fast schon auf null, sehr weit würde sie nicht mehr kommen.
    Â»Lass mich bloß nicht im Stich«, flüsterte sie ihrem Auto zu. Wenn sie es nur bis zur Straße des 17 . Juni schaffte, dort konnte sie im Getümmel der Silvesterfeier vor dem Brandenburger Tor untertauchen. Vor ihr schaltete eine Ampel von Grün auf Gelb, sie gab Gas. Das Auto hinter ihr tat dasselbe. Im Licht der Straßenbeleuchtung erkannte sie, dass es der schwarze Bus war. Es war ihr nicht gelungen, ihre Verfolger abzuschütteln. An der nächsten Kreuzung riss sie das Steuer scharf nach links, ohne vorher zu blinken, schleuderte über die Gegenfahrbahn und raste immer tiefer in einen Teil der Stadt, in dem sie nie zuvor gewesen war. Der Motor stotterte, das Auto hüpfte wie ein bockiges Pferd. Sie schaffte es gerade noch in eine Seitenstraße, schaltete das Licht aus und rollte mit dem letzten Tropfen Sprit auf einen Parkplatz.
    Ohne zu zögern ergriff sie ihre Tasche, stieß die Tür auf und lief los. Vielleicht gelang es ihr, ein Taxi anzuhalten oder sich einer Gruppe von Leuten anzuschließen. Sie ging schnell, hielt den Blick auf den Boden gesenkt. Erst an einer Kreuzung wagte sie, den Kopf zu heben. Da vorne war die Spree, zwischen den Häusern sah sie den Fernsehturm. Mit etwas Glück konnte sie es schaffen! Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, wie ein Auto neben ihr die Fahrt verlangsamte. Ihr Herz klopfte wild. Sie hatten sie gefunden! Schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite leuchtete ein dunkelblaues Schild mit einem weißen U. Das war ihre Chance!
    Â»Bleib stehen!«, rief jemand hinter ihr her. »Wir kriegen dich ja doch!«
    Das wollen wir doch mal sehen, dachte sie und spurtete los.
    Â»Wir kommen jetzt raus« , tönte Pias Stimme aus dem Lautsprecher. »Ich habe die Waffe . «
    Die Anspannung wich, die Erleichterung war groß. Sogar Schäfer rang sich ein Lächeln ab und gab seinem Team durch, dass der Geiselnehmer entwaffnet sei und nicht geschossen werden sollte.
    Alle erhoben sich von ihren Plätzen und kletterten aus dem Bus. Die Sonne stand schon tief, bald würde es dämmern, aber die Straße und der Hauseingang waren von Strahlern taghell erleuchtet. Bodenstein blieb neben Nicola Engel am Einsatzbus stehen und sah zu, wie Pia nun mit Mark aus der Haustür trat. Der Junge hatte die Hände erhoben und ließ sich widerspruchslos von zwei Beamten abführen. Marks Eltern drängten sich durch die Polizisten, Pia stand auf der Treppe und sprach mit jemandem vom SEK . Sie rief nach einem Notarzt, dann verschwand sie mit Schäfer und zweien seiner Leute im Haus. Innerhalb von Sekunden war die Straße voller Menschen, Blaulichter zuckten. Bodenstein war hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, bei Pia zu sein, die jetzt die Verhaftung von Frau Franzen vornehmen würde, und dem Wunsch, nach Annika zu sehen. Schließlich entschied er sich für Pia. Die stickige Luft im Haus verschlug ihm für einen Moment den Atem. Eine Beamtin zog die Rollläden hoch und öffnete die Fenster, Pia war mit den SEK -Leuten in ihren dunklen Monturen in der Küche. Sie telefonierte und sah zu, wie Frau Franzen von ihren Fesseln befreit wurde. Plötzlich zögerte Bodenstein und blieb in der Diele stehen. Beide Mordfälle waren gelöst, aber er hatte nichts dazu beigetragen. In den entscheidenden Augenblicken hatte er Pia und sein Team im Stich gelassen. Welche Auswirkungen würde sein Verhalten der letzten Tage auf seine Zukunft haben? Pia hatte in seiner Abwesenheit Nervenstärke gezeigt und eindrucksvoll bewiesen, dass sie in der Lage war, das K 11 zu leiten.
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