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Wer viel fragt

Wer viel fragt

Titel: Wer viel fragt
Autoren: Michael Z. Lewin
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elegantes Konzept, für jeden Tag die Seite über die
     gesellschaftlichen Ereignisse durchzusehen, und machte darüber hinaus
     höchstens hier und da einmal Halt, um mir eine Kostprobe aus der
     berauschenden Welt des Sports von 1949 zu gönnen.  
    In der Ausgabe vom 13.
     Februar wurde ich unerwarteterweise belohnt. Eine Geschichte von Estes
     Grahams Geburtstagsparty.       
    Eine dieser wilden, total
     abstinenten Orgien. »… wohlbewirtet und mit der gesitteten
     Kultiviertheit, wie wir sie nicht anders von Estes Graham erwarten…
     «
    Es las sich wie eine kleinstädtische
     Theaterkritik: Die Zeremonienmeister und die Requisiteuse hatten ihre
     Sache wirklich gut gemacht. Am 12. Februar 1949 war Estes Graham
     achtundsiebzig Jahre alt geworden.
    Ich kurbelte weiter. Ein
     richtiger kleiner Schmetterling war ich, wie ich da von Gesellschaftsseite
     zu Gesellschaftsseite flatterte.
    Um zehn Uhr fünfunddreißig
     (3. Juni 1949) fand ich die Hochzeitsanzeige: »Fleur Olian Graham
     heiratet.« Kein langer Artikel. Kein Bild. Aber mit genauen Angaben.
     Die Hochzeit sollte am 6. September stattfinden. Der Glückliche war
     Leander Crystal aus Ames, Iowa. Anschließend Empfang bei Estes
     Graham in der North Meridian Street.
    Was wäre da
     naheliegender gewesen, als sofort einen Sprung zu machen und nachzusehen,
     ob die Hochzeit wie geplant verlaufen war?
    7. September 1949. »Die
     Graham-Erbin heiratet.« Diesmal mit Bild. Das war schön.
     Eigentlich sind mir Bilder am liebsten.
    Sie kamen gerade aus der
     Kirche. Fleur und Leander Crystal zusammen mit Estes Graham.
    Fleur stand zur Rechten ihres
     frisch angetrauten Ehemannes.
    Mit einem kolossalen Grinsen.
     Eine attraktive Frau; das Haar wirkte auf dem Foto ziemlich dunkel, das
     Gesicht ein wenig rundlich. Aber selbst auf dem Schwarzweißfoto
     waren die schön geformten Lippen zu erkennen, ihr großer
     Pluspunkt. Ich sah mir das Bild genau an. Wahrscheinlich war ich jetzt in
     der Lage, sie zu identifizieren.
    Leander war ungefähr so
     groß wie Fleur. Er stand steif neben ihr, in Armeeuniform. Es überraschte
     mich, daß Estes Graham nur Sergeant gewesen war, aber die mit
     Medaillen geschmückte Uniform stand ihm gut. Sein auffälligstes
     körperliches Merkmal war eine fast vollständige Kahlheit.
    Estes stand rechts neben
     Fleur. Auf einen Stock gestützt, den Kopf leicht vornübergebeugt.
     Die drei Köpfe bildeten eine horizontale Linie. Er war alt und war
     schon alt gewesen, solange Fleur lebte, wenn das Bild nicht trog. Er trug
     einen Frack mit sehr langen Schößen.
    Der Artikel mit dem Foto
     enthielt eine ausführliche Beschreibung der Hochzeit und des
     Empfangs, außerdem die Biographien und weiteren Pläne der
     Hochzeiter.
    Aus den Biographien ergab
     sich Folgendes.
    Fleur war neunzehn. Sie hatte
     1946 ihren Abschluß an der Tudor Hall gemacht, einer privaten Mädchenschule
     in Indianapolis. Noch als Schülerin hatte sie während der
     letzten Phase des Krieges freiwillig in einem Lazarett mitgearbeitet und
     danach diese freiwillige Tätigkeit fortgesetzt.
    Dann hatte sie ein Jahr lang
     die Schwesternschule der Butler University besucht, brach ihre Ausbildung
     dort jedoch ab, um zu heiraten.
    Crystal, neunundzwanzig,
     hatte gerade an der Wirtschaftsfakultät der Butler University seinen
     Abschluß gemacht (cum laude). Davor Militärdienst in Europa,
     ausgezeichnet mit dem Silbernen Kreuz und dem Purpurnen Herzen. Vermutlich
     war er nach Indianapolis gekommen, weil er dort auf Staatskosten studieren
     konnte. Über seine beruflichen Pläne erfuhr man nichts.
     Vielleicht verstand sich das angesichts Estes Grahams und dessen
     Jahresbilanz von selbst. Das Paar würde die Nacht in Estes' Haus
     verbringen und dann zu einer vierwöchigen Hochzeitsreise nach Florida
     aufbrechen.
    Als ich mir alles notiert
     hatte, war es fast elf Uhr und damit wieder einmal Zeit für eine
     Entscheidung. Sollte ich mich um einen frühen Mittagsimbiß kümmern
     oder weitermachen, versuchen, noch mehr Neuigkeiten aufzuspüren?
    Mich überkam einer
     meiner seltenen Anfälle von Ehrgeiz. Ich beschloß zu bleiben.
    Vom Datum der Hochzeit aus
     kurbelte ich weiter. Die erste Erwähnung der vertrauten Namen fand
     ich am 18. Oktober, in der Unterschrift eines Bildes von Leander und
     Fleur, die aus einem Flugzeug steigen. Braut und Bräutigam auf dem
     Weir Cook Airport bei ihrer Rückkehr von den Flitterwochen in
     Florida. Auf diesem Bild
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