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Wer stirbt, entscheidest du

Wer stirbt, entscheidest du

Titel: Wer stirbt, entscheidest du
Autoren: Lisa Gardner
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marschierte los. Dreißig Sekunden später war er zwischen den Bäumen verschwunden. Nach weiteren drei Minuten setzte sich auch D.D. in Bewegung.
    Im Hintergrund wurde Sirenengeheul laut.
    Die hiesige Polizei rollte an.
    D.D. folgte Bobbys Spuren.
    Rauch, Hitze, Schnee. Ein winterliches Inferno.
    Höchste Zeit, Sophie zu finden.

    Hamilton riss mir die Waffe aus den kraftlosen Händen. Sie fiel in den Schnee. Er befahl mir, sie aufzuheben und ihm zu geben.
    Von der kleinen Anhöhe aus, auf der ich stand, sah ich Sophie zwischen weiß bepuderten Bäumen und vor einem Hintergrund aus hellroten Flammen auf mich zurennen.
    Hamilton presste mir von hinten die Mündung seiner Pistole in die weiche Stelle unterm Ohr.
    Ich ging in die Knie, warf mich mit dem Rücken gegen Hamilton und brüllte: «Lauf in den Wald, Sophie! Lauf weg, weg, weg!»
    «Mommy!», schrie sie, im Abstand noch von hundert Metern.
    Hamilton hämmerte mir seine Sig Sauer gegen die Schläfe. Ich stürzte zu Boden und prallte mit der verletzten Schulter auf. Mir schien, als spürte ich etwas darin zerreißen. Hamilton beugte sich über mich und schlug ein zweites, ein drittes Mal zu, riss mir die Wange auf, die Stirn. Mit Blut in den Augen rollte ich mich wie ein Fötus im Schnee zusammen.
    «Sie hätten parieren sollen!», schnauzte er mich an. Er trug seine Uniform, darüber einen schwarzen Wollmantel, der bis zu den Knien reichte. Der breitkrempige Hut saß tief in der Stirn. Wahrscheinlich hatte er sich dieses Outfit angelegt, als ihm der Tod eines seiner Officer zu Ohren gekommen war. Und als er dann gehört hatte, dass es Shane erwischt hatte und ich entkommen war …
    Er hatte sich sofort auf den Weg gemacht, zu meiner Tochter. In der vollen Montur eines Lieutenant Colonel der State Police von Massachusetts war er gekommen, um meine Tochter zu töten.
    «Hätten Sie, wie es sich für eine Polizistin gehört, getan, was man von Ihnen verlangt, wäre niemand zu Schaden gekommen», blaffte er, über mich gebeugt, die Bäume, das Feuer und den Nachthimmel ausblendend.
    «Ausgenommen Brian», stöhnte ich. «Er musste sterben. Das haben Sie so entschieden.»
    «Er hatte sein Spielproblem nicht mehr unter Kontrolle. Ich habe Ihnen einen Gefallen getan.»
    «Sie haben meine Tochter gekidnappt und mich in den Knast gebracht. Und das alles nur für ein bisschen mehr Geld.»
    Zur Antwort trat er mir in die Nieren, so wuchtig, dass ich vermutlich Blut pinkeln würde – sofern ich die Sache überlebte.
    «Mommy, Mommy!», schrie Sophie. Von nahem, wie ich mit Schrecken feststellte. Sie kam herbeigelaufen.
    Nein , wollte ich rufen. Bring dich in Sicherheit, verschwinde.
    Aber ich bekam keinen Ton mehr heraus. Hamilton hatte mir mit seinen Tritten die Luft genommen. Meine Augen brannten, Tränen liefen mir übers Gesicht, die Schulter schmerzte höllisch, und mein Magen verkrampfte sich.
    Schwarze Flecken tanzten vor meinen Augen.
    Ich musste mich aufraffen, um Sophie kämpfen.
    Hamilton holte wieder mit dem Fuß aus. Er zielte auf meine Brust. Ich langte mit der linken Hand zu, erwischte sein Hosenbein und wälzte mich zur Seite. Hamilton trat ins Leere, geriet aus dem Gleichgewicht und fiel auf die Knie.
    Statt mich mit seiner Pistole zu schlagen, spannte er den Bolzen.
    Die Detonation betäubte meine Ohren. Ich spürte einen heißen Luftstoß, unmittelbar gefolgt von einem stechenden Schmerz. Meine Hand fuhr unwillkürlich an die linke Seite. Ich blickte auf, sah meinen Chef, den Mann, dem zu vertrauen Teil meiner Ausbildung gewesen war.
    Hamilton wirkte benommen, vielleicht sogar ein wenig erschüttert, doch er erholte sich schnell und hatte den Finger wieder am Abzug.
    In diesem Moment erreichte Sophie die Anhöhe und starrte uns entgegen.
    Ich phantasierte, sah das bleiche, süße Gesicht meiner Tochter, die Haare wild durcheinander, die blauen Augen, strahlend hell auf mich gerichtet. Sie rannte, wie nur eine Sechsjährige rennen konnte, und Hamilton, der Wald und das Feuer existierten für sie überhaupt nicht, ebenso wenig wie die gespenstische Nacht und der Schrecken, der sie seit Tagen quälte.
    Sie war ein kleines Mädchen, das endlich zu seiner Mutter zurückgefunden hatte und auf mich zulief, Gertrude an die Brust gepresst und den freien Arm weit ausgebreitet, um sich über mich zu werfen, die ich ächzend am Boden lag, vor Schmerzen und Freude außer mir.
    «Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich», hauchte ich.
    «Mommy …»
    Ich
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