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Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)

Titel: Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)
Autoren: Gert Prokop
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entfernte er mit zeremonieller Sorgfalt die Stanniolkapsel, zog den Korken mit einem altertümlichen Zieher, schnupperte an dem Kork, nickte zufrieden, goß eine Probe ein, begutachtete die Farbe, sog das Aroma tief ein, kostete schmatzend und schenkte endlich die Gläser voll.
    »Auf Ihr Wohl, Edward.«
    »Auf das Ihre, Tiny.«
    Sie tranken sich zu wie zwei Verschwörer.
    »Kaum zu glauben, daß es Leute gibt, die alle Tage so etwas haben«, stöhnte Paddington.
    »Und ohne einen Cent dafür zu zahlen«, ergänzte Timothy, »während unsereins, falls er überhaupt eine Flasche Naturwein bekommt, Unsummen ausgeben muß.«
    »Sie meinen die DRAUSSEN?« Paddington blickte sich verstört um. »Werden Sie nicht überhört?«
    »Doch!« Timothy zeigte über die Schulter zu einem Kristallkäfig, der an der Decke klebte. »Natürlich werde ich überhört; ich weiß nur nicht, von wem alles.« Er kicherte. »Ich kenne außer Polizei und FBI, der NSA und dem Komitee für moralische Aufrüstung noch eine ganze Reihe von Leuten, die sich für mich interessieren dürften. Ich hoffe jedoch, daß ich nur den amtlichen Zuhörer habe, und vor dem habe ich nichts zu verheimlichen. Sie etwa?«
    »Natürlich nicht!« beteuerte Paddington.
    Als sie die Gläser geleert hatten, winkte Timothy dem Professor. Sie ließen ihre Sessel in das Mausoleum rollen.
    »Gibt es einen schwarzen Markt für Transplantate?« begann Timothy.
    »Nein, wozu auch? Von Ausnahmen abgesehen, gibt es genügend Transplantate, ich meine, im Verhältnis zu den wenigen Möglichkeiten für solche Operationen. Wir haben zu wenige Spezialisten und viel zuwenig dafür geeignete OP-Säle. In der Regel müssen die Patienten Monate warten, bis sie an die Reihe kommen; in der Zwischenzeit hat sich allemal ein passendes Ersatzteil gefunden. Obwohl wir nicht sehr viel zahlen können.«
    »Und in den Trustkliniken?«
    »Auch dort gibt es lange Wartezeiten. Schon um die Preise hochzuhalten. Aber wenn denen ein Teil fehlt, bekommen sie es von uns. Zum Selbstkostenpreis.« Paddington lachte bitter. »Wenn Sie wüßten, Tiny, was für Preise die ihren Patienten berechnen! – Sie dachten, jemand hätte die Schenkel genommen, um sie unter der Hand zu verkaufen?«
    »Wäre das ausgeschlossen?«
    »Warum hätte man dann die ersten beiden zurückgebracht?«
    »Weil man sie nicht los wurde. Und weil so die Chance größer war, daß der Diebstahl lange Zeit unentdeckt blieb. Es war ja nur ein Zufall, daß Sie den ersten bemerkten und daraufhin jeden Abend den Bestand überprüften, nicht wahr?«
    »Das stimmt. Wenn wir nur wüßten, wer der Dieb ist!«
    »Das weiß ich.«
    Ein Strahlen ging über das Gesicht des Professors. »Sie haben den Fall gelöst?«
    »Ich fürchte, so einfach ist die Sache nicht. Ich habe noch keine Ahnung, warum die Unterschenkel gestohlen wurden. Warum drei so verschiedene Exemplare? Napoleon sagt, weil das erste und das zweite Bein nicht paßten. Das erste sei zu groß gewesen, das zweite habe die richtige Größe gehabt, sei aber ein linkes gewesen, während ein rechtes gebraucht wurde. Das befriedigt mich nicht. Die Bezeichnung auf dem Cooler ist so einfach, daß nicht einmal ein Dummkopf sich vergreifen konnte, geschweige denn einer Ihrer Mitarbeiter. Was Sie mir eben erzählt haben, bestärkt mich in meiner Ansicht, daß die Unterschenkel auf Bestellung gestohlen wurden; sollte man da nicht vorher gewußt haben, was man braucht? Sollte man das erst nach dem Diebstahl festgestellt haben, etwa durch eine Art Anprobe? Klingt ziemlich absurd, nicht wahr?«
    »Fragen Sie doch den Halunken! Wer ist es?«
    »Ich habe Napoleon die Daten Ihrer Mitarbeiter durchrechnen lassen. Es kann nur jemand sein, der mit den Freezern umzugehen und einen Cooler sachgemäß anzuschließen versteht, er muß außerdem die Möglichkeit haben, mit einem Gepäckstück von der Größe eines Transportcoolers ein und aus gehen zu können, und er muß zu allen drei Tatzeiten in der Klinik gewesen sein – also Carruthers oder Truman.«
    »Carruthers!« rief Paddington. »Carruthers ist heute nicht zum Dienst erschienen. Wir müssen ihn uns gleich vorknöpfen. Er soll gestehen, wo der Unterschenkel geblieben ist.«
    »Das wird er selbst nicht wissen. Wenn hinter dieser Geschichte, wie ich vermute, eine große Sache steckt, dann wurden zwischen Dieb und Endverbraucher mehrere Stationen geschaltet, um die Spur zu verwischen.« Timothy trommelte mit den Fingerspitzen. »Warum drei so
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