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Wer sich nicht wehrt...

Wer sich nicht wehrt...

Titel: Wer sich nicht wehrt...
Autoren: Heinz G. Konsalik
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große Wohnzimmer führen. Zum erstenmal sah er Carola Holthusen aus der Nähe. Wo hatte ich die letzten zwei Jahre meine Augen, dachte er. Natürlich auf dem Reißbrett, auf den Baustellen, auf den Plänen … nur nicht dort, wo es Faszinierenderes gibt als Grundrisse und Querschnitte. Das Leben ist an einem vorbeigeflossen, und man hat nicht gesehen, daß genau gegenüber ein ebenso einsamer Mensch wohnt. Was hatte Wiga einmal erzählt? Mikes Papa sei weggelaufen, nach Australien? Er muß ein Idiot gewesen sein! Wer läuft von solch schöner Frau einfach weg?! Aber ist sie wirklich einsam, bei diesem Aussehen, bei dieser Figur? Wie kann man so etwas glauben.
    Tenndorf deutete einen Handkuß an. Carola zog die Hand schnell zurück, als erschrecke diese Geste sie. Mit weiten Augen starrte Mike die beiden Erwachsenen an. Er hatte noch nie einen Handkuß gesehen. Wiga, die noch an der Tür stand, schien nicht so verblüfft. Sie kannte das. Die vielen Damen, die zu Papi ins Atelier kamen, begrüßte er immer so. Er hatte es ihr sogar erklärt: Wenn ein Mann besonders höflich zu einer Dame sein will, küßt er ihr die Hand. Ein Zeichen der Unterwerfung … früher küßte man die Füße, dann die Stiefelspitzen, dem Papst küßt man den Fischerring an der Hand – im Fernsehen ist das oft zu sehen – und einer Frau, nun ja, küßt man die Hand, um ihr zu zeigen, daß man sich vor ihr verneigt. Wenn du groß bist, wird man dir auch die Hand küssen. Es sei denn, die menschliche Gesellschaft ist bis dahin so verroht, daß man einander nur noch auf die Schulter schlägt und Hallo ruft.
    »Was darf ich Ihnen anbieten?« fragte Carola Holthusen, als Tenndorf in einem Sessel Platz genommen hatte. »Bier, Kognak, Whisky, Wodka, Wein …«
    »Ah, Sie betreiben eine Privatbar?« sagte Tenndorf. Es sollte lustig klingen, war aber ziemlich dumm, wie er sofort feststellte.
    »Ich bekomme viel Besuch von Kollegen und Kolleginnen«, antwortete Carola zurückhaltend. »Fabrikanten, Designer. Ich arbeite in der Modebranche.«
    »Mode? Interessant.«
    »Ich bin Modezeichnerin.«
    »Dann sind wir ja fast Kollegen! Sie entwerfen die Kleiderträume der Damen, ich baue Häuser, die später Traumhäuser genannt werden.« Tenndorf lehnte sich im Sessel zurück. »Zu Ihrer Frage: Ein Bier täte mir jetzt gut …«
    Sie holte Gläser aus der Küche und eine Flasche Pils, gut gekühlt, schenkte ein und setzte sich dann Tenndorf gegenüber auf die Couch.
    »Sie trinken nicht mit?« fragte Tenndorf.
    »Nein. Danke.« Sie faltete die Hände im Schoß. »Ich bin viel zu aufgeregt. Was hat Ihnen Wiga erzählt? Ich werde aus Mikes Erzählung nicht klug.«
    Tenndorf trank einen großen Schluck und stellte das Glas dann auf den Tisch. Ihm gegenüber, neben Carola Holthusen, hockten Mike und Wiga auf der Couch.
    »Ordnen wir mal, was wir erfahren haben. Ihr Sohn und meine Tochter gehen mit Hund und Katze in die Große Heide, um dort Schneehasen zu beobachten, die es nicht gibt.«
    »Es gibt sie doch!« rief Mike.
    »Also, es gibt sie.« Tenndorf lächelte großzügig. »Während unsere Kinder im Gebüsch auf die Hasen lauern, hält auf der Straße, auf der eigentlich nur Forstfahrzeuge fahren dürfen, ein Lieferwagen. Micky und Pumpi rennen auf diesen zu, kriechen darunter, der Wagen fährt wieder an – und Hund und Katze sind weg.«
    »Das gibt es doch nicht, Herr Tenndorf.« Carola stieß Mike an, weil er dazwischenreden wollte. »Wenn sie überfahren worden wären – aber spurlos verschwinden …?«
    »Mike …« Tenndorf beugte sich etwas vor. »Denk mal ganz scharf nach! Wie sah der Wagen aus?«
    »Ein Kastenwagen. VW oder Ford, das habe ich nicht so genau erkannt.«
    iß war er!« rief Wiga dazwischen. »Ja, weiß. Und an der Seite war aufgemalt: Möbeltransport Rapid.«
    »Was stand da?«
    »Möbeltransport Rapid. Bestimmt, Herr Tenndorf, ich habe es genau gelesen.«
    »Das ist schon etwas!« Tenndorf nahm noch einen Schluck Bier. »Hast du gesehen, ob jemand ausgestiegen ist und Micky und Pumpi in den Wagen gehoben hat?«
    »Nein, Papi!« Wiga fuchtelte aufgeregt mit den Armen. »Niemand ist ausgestiegen. Pumpi ist unter das Auto gekrochen, Micky hinterher, und dann ist das Auto schnell weggefahren. Wir sind sofort zur Straße gerannt, aber da war nichts mehr da …«
    »Begreifen Sie das, Herr Tenndorf?« fragte Carola Holthusen etwas hilflos.
    »Ich fürchte ja.«
    »Es kann doch niemand unter dem Auto etwas wegnehmen, ohne auszusteigen!
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