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Wer lügt, gewinnt

Wer lügt, gewinnt

Titel: Wer lügt, gewinnt
Autoren: Patrícia Melo
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abzuliefern, zwei Wochen und keinen einzigen Tag länger. Es machte mir nichts aus, meine Geschichten bei den Klassikern zu klauen, tatsächlich hatte ich das Gefühl, damit ein gutes Werk zu tun, ich verschaffte so den weniger privilegierten Lesern die Gelegenheit, Shakespeare, Chesterton, Poe und viele andere wichtige Schriftsteller zu lesen. Ich hatte mir die Mühe gemacht, am Kiosk stehenzubleiben und zu beobachten, wer meine Leser waren. Leute jeden Typs, solche, die wie Botenjungen aussahen, eine traurige Frau mit dem Gesicht eines Hausmütterchens, nervöse Frauen, die wie Kosmetikerinnen aussahen, Makler von irgendwas, die schwarze Aktenmappen bei sich trugen. Leute, die niemals im Leben Klassiker lesen würden. Ich tat diesen Leuten einen Gefallen, das war die Wahrheit.
    Mit einem Wort, alles lief bestens.
    An meinem Geburtstag kam Fúlvia mit einem großen roten Paket mit goldener Schleife nach Hause. Drinnen lag zusammengerollt eine Wasserschlange, eine Sucuri von ein Meter zehn Länge, gelblicher Färbung und mit zwei Reihen runder schwarzer Flecken auf dem Rücken. Sie frißt gerne Wasserschweine, sagte Fúlvia. Ich wollte sie nicht annehmen, kommt überhaupt nicht in Frage, rief ich, nimm dieses Vieh bloß wieder mit. Nein, sagte sie, sie frißt die Wasserschweine erst, wenn sie groß ist, und du kannst sie statt mit Wasserschweinen auch mit Kaninchen füttern, oder mit ein paar Mäusen. Nein, sagte ich. Viele Leute züchten Schlangen, sagte sie, ich tue es, die Europäer tun es, in den USA ist ein regelrechtes Fieber ausgebrochen, ich helfe dir dabei, das Terrarium zu bauen. Ich glaube, lieber nicht, antwortete ich, meine Mutter hat bestimmt Angst vor Schlangen. Deine Mutter kommt doch nie hier rein, sagte Fúlvia, sie verläßt überhaupt nicht ihr Zimmer, ich bin seit drei Monaten mit dir zusammen, und ich habe deine Mutter erst zweimal gesehen, sie tut nichts außer beten, die Ärmste. Wir hängen ein Stoffrollo vor das Regal, sagte sie, und wenn deine Mutter auftaucht, lassen wir es herunter.
    Fúlvia brachte mich dazu, Verkleidungsmaterial, Schlupf- und Futterkasten, Heizplatten, Behälter, einen Drahthaken zum Hochnehmen der Schlange, alles mögliche zu kaufen. Wir räumten zwei Reihen Bücher aus dem Regal, und ich stellte die Kästen hinein. Nach ein paar Tagen fing das Ganze schon an, mir Spaß zu machen.
    Was das Schlangenzüchten interessant macht und es von dem unterscheidet, was mit allen anderen Tieren passiert, ist, daß es nicht so eine lästige Beziehung gibt, weder dieses krankhafte Bedürfnis von Katzen danach, gestreichelt zu werden, noch diese Ergebenheit, die ein Hund seinem Herrchen gegenüber empfindet, das ist ein Vorteil. Und etwas anderes Gutes ist die Kontemplation, die man sich angewöhnt. Kaninchen, Vögel und Katzen betrachten wir nicht mit solcher Versunkenheit, nur Schlangen ziehen uns auf diese Weise an, zwingen uns dazu, sie anzuschauen und zu bewundern. Das teuflische Charisma der Schlange und ihre erschreckende Schönheit üben eine außergewöhnliche Macht auf uns aus. Mitunter saß ich am Computer und schrieb an meinen Geschichten, und auf einmal spürte ich einen Stich. Komm her, befahl sie, die Sucuri. Die zwiegespaltene Zunge. Schau mir in die Augen. Hypnotisiert ließ ich mich vor dem Terrarium nieder. Bete mich an. Riesige Augen, wimpernlos. Bete mich an. Ich kann mich noch heute an das erste Mal erinnern, als ich sie hochnahm. Ich spürte die kalte Berührung ihrer Haut, wie sie über meinen Arm glitt. Sie wand sich mir um den Hals, schlängelte meinen Rücken entlang. Genau, sagte Fúlvia, laß sie sich an dich gewöhnen. Und dann entleerte sie sich auf mir. Das ist ganz normal, erklärte Fúlvia, sie ist auf der Hut.
    Ich fand mit der Zeit wirklich Gefallen an der Sache. Wie schon gesagt, besaß Fúlvia eine Sammlung mittlerer Größe, mit seltenen Arten, die sie von Schmugglern gekauft hatte, die im Institut auftauchten. Sie verbrachte täglich zwei Stunden damit, sich um ihre Schlangen zu kümmern, Fütterung, Reinigung, lauter solche Dinge, und sie redete auch mit den Schlangen, nicht, weil ich mich gerne mit Schlangen unterhalte, sagte sie, sondern weil man bei mir zu Hause mit Schlangen besser reden kann als, na ja, lassen wir das, meinte sie.
    Eines Tages schlug Fúlvia vor, daß wir unsere Schlangen auf einen Ausflug in irgendeinen Park mitnehmen sollten. Sie holte mich mit dem Auto zu Hause ab, ganz frühmorgens, vor sieben Uhr, und wir fuhren zur
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