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Wer ist eigentlich Paul?

Wer ist eigentlich Paul?

Titel: Wer ist eigentlich Paul?
Autoren: Anette Göttlicher
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geschnittenen Haare. Gut sieht er aus: leicht gebräunt, hellgraue Cargo-Hose mit Seitentaschen und dazu ein langärmeliges, dunkelblaues T-Shirt . Fesch. Anscheinend hat mein modischer Einfluss post-relativ doch noch gewirkt, und er betritt jetzt freiwillig H& M-Filialen .
    «Hallo, Max!»
    «Wie geht’s?», fragen wir zeitgleich und lachen. Gar nicht verlegen. Das ist uns früher dauernd passiert, dass wir zur gleichen Zeit das Gleiche sagten. Ich halte ihm meinen gekrümmten kleinen Finger hin – und er hat es nicht vergessen, unser «Fingerhakeln». Ich muss schlucken und frage schnell, ob er Zeit für einen Kaffee hat. Er hat. Ohne Worte schlagen wir den Weg zu Segafredo ein. Teil unseres alten Samstagvormittag-Rituals: Wir fuhren zusammen ins PEP, stellten dort wie immer fest, dass ich dringend Klamotten brauchte und er die C D-Abteilung von Saturn durchkämmen wollte. Also trennten wir uns und trafen uns später bei Segafredo, um uns gegenseitig die Neuerwerbungen vorzuführen.
    Max bestellt zwei Milchkaffee, auch das weiß er noch, und wir suchen uns einen Tisch in der Ecke. Er stellt die prall gefüllte Hugendubel-Tüte zwischen seine Füße, anscheinend liest er immer noch gerne. Doch ich sehe auch den aktuellen «Kicker» herauslugen. Wir unterhalten uns über das vergangene Jahr, in dem wir uns nicht gesehen haben.
    «Und, hast du eine   …», frage ich ihn nach einer Ewigkeit und traue mich nicht, ihm in die Augen zu schauen.
    «Nein, nicht wirklich», antwortet er, «und du?»
    «Ich auch nicht», sage ich und denke mit Bedauern, dass das absolut der Wahrheit entspricht. Ich müsste lügen, wenn ich Paul als meinen neuen Freund bezeichnen wollte. Dahin ist es – wenn überhaupt – noch ein langer Weg   … Irgendwie bin ich erleichtert, dass Max solo ist. So, wie er aussieht, liegt es sicher nicht am Mangel an Gelegenheiten. Er spielt wieder mehr Fußball, erzählt er, und das sieht man ihm an. Am liebsten würde ich mich zu ihm hinüberbeugen und an seinem Hals schnuppern, um diesen vertrauten Duft einzuatmen, der sechs Jahre lang zu mir gehörte. Doch ich lasse es lieber. Zu viele Erinnerungen kämen hoch. An die vielen kleinen Rituale, die gemeinsamen Urlaube in Griechenland und Italien, Österreich und Schottland, an die Abende bei unserem Lieblings-Thailänder, an das Bettzipfelmonster, das mich am Einschlafen hinderte, bis ich nachgab und das Schlafzimmerfenster öffnete   …
     
    Zum Abschied küssen wir uns auf die Wangen und beschließen, uns bald mal wieder zu treffen. Dann trennen wir uns. Aus alter Gewohnheit drehe ich mich nach ein paar Schritten noch einmal um, und siehe, auch Max tut es. «Grüß Him und Brom!», ruft er mir zu. Him und Brom sind zwei Stoffkühe, die seit unserer Trennung bei mir wohnen. «Ja», sage ich leise, sehe Max hinterher, wie er davongeht, die Hugendubel-Tüte schwenkend, und fühle eine wunde Stelle irgendwo ganz tief drinnen.

 
    DONNERSTAG, 3.   OKTOBER 2002 – GEBURTSTAG MAL ZWEI
    Schwarze Katze von links. Gut, dass ich nicht abergläubisch bin. «Na, du kleine Miezekatze?», säusle ich und gehe in dieHocke. Fauch. Okay, dann eben nicht. Als ich mich wieder aufrichte, dreht sich alles um mich, und mein Kopf dröhnt. Könnte sein, dass das von gestern kommt.
    Es ist sieben Uhr morgens, und ich bin auf dem Weg in meine Wohnung. Hinter mir liegen 15   Stunden Wiesn-Exzess. Aber von vorne.
     
    Mein Geburtstag beginnt 24   Stunden früher. Meine Eltern wollen mich heute sehen, also quäle ich mich in der Morgendämmerung aufs Land hinaus. Meine Mutter erzählt gut gelaunt vom Urlaub auf Mallorca. Ich finde es zwar weniger entscheidend, ob es das beste Frito Mallorquin in Alcudia oder Pollença gibt und wo genau in der Holledau die neuen Urlaubsbekannten ihr Haus bauen, aber ich bin froh, nichts reden zu müssen   …
    Zwei Stunden später düse ich mit dem Auto in die Stadt – zum Geburtstagsfrühstück mit Paul. Im Radio kommt nur Chart-Mist, also lege ich die Maria-Callas-CD ein und fahre voller Vorfreude auf die Autobahn. Kurz vor München überhole ich an einer leichten Steigung einen Lkw. Dann geht alles sehr schnell. Ein Auto kommt mir auf meiner Spur entgegen. Es fährt direkt auf mich zu. Das Nächste, was ich registriere, ist, dass ich mit meinem Auto auf dem Pannenstreifen stehe. Der Motor ist aus, und ich scheine noch zu leben. In weiter Ferne höre ich das Tatütata eines Polizeiautos. Ich zittere am ganzen Körper und schaffe es erst
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