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Wer ist eigentlich Paul?

Wer ist eigentlich Paul?

Titel: Wer ist eigentlich Paul?
Autoren: Anette Göttlicher
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nach zehn Minuten, den Wagen wieder anzulassen und weiterzufahren. Das war knapp. Verdammt knapp.
    In dieser Verfassung kann ich unmöglich Paul gegenübertreten. Der würde mich für total hysterisch halten. Ich schreibe ihm eine SMS mit der Erklärung, was passiert ist, und fahre nach Hause. Zwei Kannen Tee und fünf Zigaretten später hört das Zittern langsam auf.
     
    Um vier Uhr nachmittags treffe ich mich mit meinen Freunden auf der Wiesn. Wir feiern den Geburtstag eines Freundes – der liegt zwar schon ein paar Tage zurück, aber sein Vater ist ein hohes Tier bei der Augustiner-Brauerei und hat Tische in einer Box reserviert. Ich starre in meinen Maßkrug, kratze akribisch das Salz von meiner Brezn und kann nur an eines denken: Paul. Wie gerne hätte ich dich heute gesehen. Und jetzt hab ich’s selbst vermasselt. Weil ich hysterisch bin. Wie gerne wäre ich jetzt bei dir. Vielleicht würdest du mich ja sogar verstehen, mich fest in den Arm nehmen und mir sagen, wie froh du bist, dass mir nichts passiert ist. Auf einmal fühle ich mich völlig fehl am Platz hier im Bierzelt, zwischen all meinen Freunden, inmitten der grölenden Menschenmenge und der ausgelassenen Stimmung. So geht das nicht, Marie, sage ich mir und höre auf, mein Bier anzustarren. Stattdessen trinke ich es. In großen, durstigen Schlucken und gleich drei (Maß, nicht Schlucke) hintereinander. Und siehe da, es dauert nicht lange, und mein Kopf hört auf zu grübeln. Pauls Bild verblasst für den Moment, und mir geht es richtig gut. Irgendwann spielt die Band «Guten Abend, gut’ Nacht». Wird wohl der Rausschmeißer sein. Dann muss ich noch Toboggan fahren, Schnaps trinken und werde energisch daran gehindert, mir ein Taxi nach Hause zu nehmen. Ich kann mich des Weiteren dunkel an das Gedränge im Lido erinnern, an eine Mittvierzigerin, die mein Dirndl hinreißend fand und alle fünf Minuten fragte, wo ich es gekauft hätte (ichhabsnichtgekaufthabsgeerbt!!!), und an mehrere Aperol Sour, die ich nicht bestellt hatte, aber trotzdem trank   …
     
    Endlich stehe ich vor meiner Wohnung. Ich schleppe mich die drei Stockwerke hoch, entledige mich meiner Schuhe und des Dirndls, schalte Bayern 2 ein und lasse mich auf das Sofa fallen. Etwas zwickt mich in den Rücken. Ich greife unter mich und ziehe die unausgepackten Netzstrümpfe hervor. Kann die jemand brauchen? Größe I in Dark Honey. Nein, stopp. Ich werdePaul wiedersehen. Ich weiß es ganz genau. Aber vorher muss ich ausschlafen.

DIENSTAG, 8.   OKTOBER 2002 – ALPEN-TRÄUME
    Die Welt ist schön im Oktober. Besonders schön ist sie, seit Paul mich anrief und mir sagte, dass er mich sehr vermisse. Seitdem trage ich nicht nur ein dauerhaftes Grinsen, sondern auch ein warmes Gefühl im Bauch mit mir herum. Ich sehe lauter schöne Dinge und Menschen, interessiere mich für neue Wissensgebiete, unterstütze amazon.de kaufkräftig beim Erreichen der schwarzen Zahlen – kurz, ich bin höchst inspiriert. Sogar jetzt, morgens um acht Uhr (!) auf meinem Balkon. Der Himmel ist malkastenblau, und die Sonne scheint mir ins Gesicht. Ich zünde mir eine Zigarette an, setze mich auf meinen wackligen Balkonstuhl und schließe die Augen   …
     
    Mit Paul in den Bergen. Postkartenidylle pur: ein Weg unter bunt gefärbten Bäumen, eine Almwiese und eine kleine Hütte. Nur für uns beide. (Wo gibt’s denn so was, wirft die innere Stimme, Abteilung Realität, ein, du bist ja nicht mal Mitglied im Alpenverein! Will ich auch gar nicht sein, gebe ich zurück und lenke meine Gedanken wieder zu der kleinen Hütte.) Vor dieser steht eine schiefe alte Holzbank, auf der Paul und ich uns nun niederlassen, etwas außer Atem vom Aufstieg. Wir sehen uns an, und ich kann nichts dagegen tun, dieses breite Grinsen wächst in meinem Gesicht und lässt sich nicht aufhalten. Möchte ja nicht wissen, wie ich aussehe, wenn ich Paul so anstrahle. Hmmmm, anscheinend doch nicht zu schlecht, denn er legt die Hand um meinen Hinterkopf, zieht mich zu sich heran und küsst mich. Glückswellen (Hormone nennt man das, berichtigt die innere Stimme) schwappen durch meinen Körper und versammelnsich in der Körpermitte. Ich spüre das starke Bedürfnis, Paul festzuhalten und nie wieder loszulassen. Und dann ist da noch was. Dankbarkeit. Dafür, dass ich es bin, die hier in der Sonne auf der Almhüttenbank sitzt und von Paul geküsst wird. Dass ich hier oben mit ihm allein sein darf, während unten im Tal Hunderttausende frustriert ihrem
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