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Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)

Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)

Titel: Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)
Autoren: Maximo Duncker
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Gedächtnisses, mehr sogar: ein ganzes Drittel seiner Persönlichkeit.
    Zuerst suchte er nur zögerlich, wissend, dass er gegen die Anweisung des Beamten verstieß. Dann, als er die fehlenden Konsequenzen seines Tuns registrierte und sich plötzlich sicher war, dass die Ermahnung eben nicht mehr gewesen war als ein rachsüchtiger Scherz, suchte er hektisch, geradezu fieberhaft. Er tastete, legte sich ohne Rücksicht auf seine Kleidung bäuchlings neben den Wagen. Direkt hinter dem linken Vorderrad des entglasten PKW s fand er den Akku und die Akkuabdeckung.
    Er nahm beides an sich, stand auf und wandte sich dem Megafonmann zu, und während er die beiden Handyteile in die Luft hielt, rief er etwas lauter als nötig: »Sie müssen bitte entschuldigen: mein Telefon.«
    Das versteinerte Gesicht des Polizisten entspannte sich. Er ließ das Megafon sinken, nickte, um zu zeigen, dass er verstanden habe und sein Gefasel von wegen Beweismaterial ein kleiner Scherz gewesen sei, und schlenderte langsam zu seinen Kollegen zurück.
    Van Harm ging einmal um den Wagen herum. Jetzt stand er auf dem Bürgersteig, direkt unter seinem ehemaligen Bürofenster. Abermals wurden ihm die Knie weich. Der Geruch von verschmortem Plastik war hier noch intensiver, der Gehweg übersät mit formlosem Schutt, unmöglich, etwas darin zu finden. Die Straßenlaterne hatte es zerrissen, angeknickt, doch weil van Harm dachte, das Licht der Rettungsfahrzeuge würde genügen, ging er abermals in die Hocke. Tastete erst um das rechte Hinterrad des Wagens, unter dem sein Telefon verschwunden war, bekam aber nichts zwischen die Finger als ein paar kleinere Mauerbrocken. Stand auf und wandte sich ohne viel Hoffnung dem rechten Vorderrad zu. Und sah, noch bevor er wieder in der Hocke angelangt war, etwas blitzen. Funkeln, keine Glassplitter, sondern etwas Metallisches, zwischen Bordstein und Reifen, ein glänzender Stachel, der aus dem staubigen Geröll ragte, das die Detonation unter den Wagen gefegt hatte. Es war nicht sein Handy, das erkannte er sofort. Es war schlicht unmöglich, dass es nach dem Fall auf der anderen Wagenseite hier zu liegen gekommen sein konnte.
    Das Ding, was da glänzte, gehörte ihm dennoch, er kannte es gut: Es stammte von seinem Schreibtisch. Eine Antiquität vom Flohmarkt, ohne Nutzen in diesen Zeiten, da die Büropost ausschließlich elektronisch abgewickelt wurde: Es war ein orientalischer Brieföffner aus geschliffenem Stahl, der die Form eines Krummsäbels und einen Griff aus bemalter Keramik hatte. Ein unnützes Accessoire, mit dem er hin und wieder in Gedanken versunken an einem Bleistift herumgeschnitzt oder sich die Fingernägel sauber gemacht hatte.
    Wie ein heißer Blitz schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass die offensichtlichen Gewissheiten oft die trügerischen waren: von wegen kein Personenschaden.
    Als van Harm wenig später mit brüchiger Stimme dem Einsatzleiter seinen Fund meldete, war weder in seinem Tonfall noch in seinem Auftreten die kleinste Spur eines Triumphs auszumachen. Denn obwohl er nur kurz hingesehen hatte, war ihm das entsetzliche Bild bereits ins Gedächtnis tätowiert: jene beringte, schmale, von Staub überzogene Hand, die mit roher, unpräziser Kraft vom Unterarm getrennt worden schien, ja aussah wie im Gelenk explodiert. Diese einsame Frauenhand, die nichts Gutes über den Zustand des Körpers ahnen ließ, zu dem sie einst gehörte, und die so unlösbar den Porzellanknauf seines Brieföffners umklammert hielt, dass van Harm, als er sein Flohmarktsouvenir aus dem Schutthaufen im Rinnstein hatte bergen wollen, sie unweigerlich mit herausgezogen hatte.

Teil 1

 
    Vormittag eines Pfaus
    Dass es ein Sprengsatz gewesen war, der Kai van Harms Arbeitsplatz plattgemacht hatte, hatte man herausgefunden. Woher der Sprengstoff kam oder von welcher Art er war, dagegen nicht. Dass die Sprengladung groß gewesen sein musste, hatten die einschlägigen Experten bestätigt, wer sie gelegt und gezündet hatte, war bislang nicht klar geworden. Behauptete man jedenfalls.
    Anderthalb Wochen lang hatte jenes ungeheuerliche Ereignis die Berichterstattung der Medien dominiert. Die übliche Gossenjournaille hatte es schon am nächsten Tag als den Horror-, wahlweise auch als Mega-Wumms von Berlin zu vermarkten begonnen. Wahrscheinlich aber spiegelte die Infantilität der Schlagzeilen nur die allgemeine Erleichterung wider, dass es angesichts der vermuteten Größe des Sprengsatzes keine Verletzten oder Toten
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