Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer hat das Rind zur Sau gemacht?

Wer hat das Rind zur Sau gemacht?

Titel: Wer hat das Rind zur Sau gemacht?
Autoren: Udo Pollmer , Andrea Fock , Monika Niehaus , Jutta Muth
Vom Netzwerk:
mittlerweile kritisch betrachtet werden, kreuzte man neben älteren Sorten auch wilde Kartoffelarten in die gängigen Kultivare ein, um resistente Pflanzen zu erhalten. 27,28,43 Dadurch stieg die Menge an Gift wieder an. Da der Biolandbau auf resistente Sorten angewiesen ist (siehe Kapitel: Biologische Landwirtschaft), enthalten Bioknollen oft mehr Solanin als Kartoffeln aus konventionellem Anbau. 6,27
    Die jeweilige Giftmenge hängt aber auch davon ab, ob die Erdäpfel von Schädlingen oder Krankheiten heimgesucht worden sind. Denn bei Stress bilden die Knollen natürlich vermehrt Abwehrstoffe. 35 Auf dem Acker sorgen daher Pilz- oder Bakterieninfektionen für stark erhöhte Alkaloidgehalte. Auch bei der Ernte oder Lagerung lässt sich vieles falsch machen. In beschädigten Knollen steigt die Toxinmenge an, ebenso bei hoher Luftfeuchtigkeit und zu hoher oder zu niedriger Temperatur. 7,32 Besonders riskant ist das Lagern der Kartoffeln im Supermarkt unter weißem Neonlicht. 17,20 Das wäre leicht zu vermeiden, würde man wieder lichtundurchlässige Verpackungen verwenden, wie es früher üblich war. 7

Gefährlich wie Strychnin
    Die Giftigkeit von Solanin ist lange bekannt. Bereits 1924 wurde für Kartoffelalkaloide eine vorläufige Höchstgrenze von 20 Milligramm pro 100 Gramm Frischgewicht vorgeschlagen. 5,7,26,51 Dieser Richtwert war im wahrsten Sinne des Wortes eine Geschmacksfrage: Die meisten Menschen nehmen ab dieser Konzentration den bitteren und kratzenden Geschmack von Solanin und Chaconin wahr. 43,51,61 Obwohl sich viele Länder an diesem Wert orientieren, ist er rechtlich unverbindlich geblieben. 17,52 Heute halten sowohl die Welternährungsorganisation FAO als auch die Weltgesundheitsorganisation WHO noch nicht einmal die Hälfte davon für unbedenklich. 24 Aus toxikologischer Sicht sind höchstens sechs bis sieben Milligramm dieser Glycoalkaloide vertretbar. 8,47
    Die Giftigkeit von Solanin ist durchaus mit Strychnin oder Arsen vergleichbar, denn es ist nun mal ein natürliches Pestizid, das nicht nur Insekten und Pilze, sondern auch Säugetiere wie Menschen abhalten soll. 34 Dennoch gibt es für Solanin bis heute weder ein NOEL (No Observed Effect Level; kein beobachteter Effekt) noch ein ADI (Acceptable Daily Intake; zulässige tägliche Aufnahme), Grenzwerte, wie sie für wesentlich harmlosere Stoffe im Essen selbstverständlich sind. 32,51 Dasselbe gilt für Chaconin, das inzwischen sogar als noch toxischer eingestuft wird als Solanin.
    Nach dem Verzehr von Kartoffeln mit höheren Alkaloidkonzentrationen kommt es zu Durchfall, Erbrechen und Krämpfen, Atemnot und Koma. Ab welcher Menge sich die ersten Symptome einstellen, ist individuell verschieden, doch 2 bis 5 mg Glycoalkaloid/kg Körpergewicht gelten allgemein als toxische Dosis, 3 bis 6 mg/kg Körpergewicht als tödlich. 24,34,51,60
Homo sapiens
reagiert damit empfindlicher auf die Kartoffelalkaloide als Affen, bei denen erst 40 bzw. 50 Milligramm pro Kilo zum Tode führen. 34,51 Dieses Beispiel zeigt wieder einmal, wie vorsichtig man Daten zur Toxizität interpretieren muss. Umgekehrt steckt der Mensch von Acrylamid und anderen Röststoffen ja erheblich höhere Dosen problemlos weg als Labornager.
    Da Solanin und Chaconin fettlöslich sind, können sie sich im Organismus ebenso anreichern wie chlororganische Pestizide à la DDT oder Lindan. 16,32,44 Insofern erscheint selbst der Grenzwert von 20 Milligramm Alkaloiden pro 100 Gramm Kartoffeln als problematisch. Er liegt damit um Zehnerpotenzen über den Grenzwerten für die meisten Pestizide. Zur Orientierung: Unsachgemäß gelagerte und so ergrünte Knollen können es locker auf 1 Gramm Alkaloide pro Kilo bringen. Legt man aktuelle Berechnungen zugrunde, genügt bei einem 20 Kilo schweren Kind schon eine Schalenkartoffel (ca. 100 Gramm) mit dem zulässigen Höchstgehalt, um eine mutmaßlich toxische Konzentration von 1 mg/kg Körpergewicht zu erreichen. 11
    Außerdem gibt es große individuelle Unterschiede in der Empfindlichkeit. 32,51 Da die unverbindlichen Grenzwerte oft überschritten werden, 32,51,52 sind Vergiftungen bei Kindern nach dem Verzehr von Kartoffeln nichts Ungewöhnliches. Dabei ist mit einer hohen Dunkelziffer zu rechnen, weil die Beschwerden häufig als Magen-Darm-Infekt fehldiagnostiziert werden. 24,31 Wie oft wohl werden statt des Kartoffelsalats die Würstchen verdächtigt, die ja aus der Massentierhaltung stammen und gefährliche Bazillen enthalten?

Schale
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher