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Wer hat das Rind zur Sau gemacht?

Wer hat das Rind zur Sau gemacht?

Titel: Wer hat das Rind zur Sau gemacht?
Autoren: Udo Pollmer , Andrea Fock , Monika Niehaus , Jutta Muth
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Schalen
    Dessen ungeachtet empfehlen dieselben Verbraucherschützer und Ernährungsberaterinnen, die vor Acrylamid warnen, Kartoffeln mitsamt ihrer Schale zu verzehren. Dabei sollten sie wissen, dass die Korkschicht ernährungsphysiologisch nicht nur völlig wertlos ist, sondern vor allem bei älteren Knollen oft beachtliche Mengen dieser giftigen Alkaloide aufweist. Solche «Ernährungstipps» sind dennoch mittlerweile Legion: Sie finden sich auf Websites von Frauenzeitschriften, und ein Internetportal für werdende Eltern gibt sogar ein Rezept für knusprige Kartoffelschalen zum Besten. Wahrscheinlich wird auch bald die Kartoffelschalensuppe, mit der man einst die Insassen von Gefangenenlagern abspeiste 12 , ihr kalorienarmes Comeback feiern.
    Werdende Mütter sind durch Empfehlungen dieser Art besonders gefährdet: Wurden Kartoffelalkaloide an Hamster, Ratten und Mäuse, aber auch an Hühner, Frösche und Fische verfüttert, traten Missbildungen bei der Nachkommenschaft auf. 14,40,43,58 Bei Affen unterdrückten die Gifte die Schwangerschaft oder erhöhten die Sterblichkeit der Föten. 54 Dazu genügte bereits eine einmalige erhöhte Dosis. 34 Schon seit langem wird beim Menschen ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Gaumenspalten bzw. Spina bifida und dem Verzehr angegammelter Kartoffeln angenommen. 45 Daher warnen die Toxikologen Schwangere und Frauen mit Kinderwunsch grundsätzlich vor dem unbekümmerten Verzehr angegrünter und beschädigter Knollen.
    Wenn in Unkenntnis einfachster biologischer Zusammenhänge «vitaminreiche» Kartoffelschalen zum Verzehr empfohlen werden, ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis in Internetforen auch Kartoffelkeime als biologisch vollwertige Sprossenkost gehandelt werden. Würden sich die Anhänger einer «naturbelassenen» Nahrung ein klein wenig mehr mit Ökologie befassen, so dämmerte ihnen, was Kartoffelkäfer schon immer wussten: Die sowohl unverdauliche als auch giftige und alles andere als vitaminhaltige Korkpelle soll die nahrhaften Erdäpfel nicht nur vor dem Austrocknen schützen, sondern auch vor naschhaften Mäulern, seien es die von Kakerlaken, Kellerasseln oder Rohköstlern.
    Verschärft wird das Problem durch den verständlichen Wunsch der Verbraucher nach dünnschaligen Kartoffeln, denn sie waren früher ein Hinweis auf frisch geerntete Ware und damit auch auf niedrige Solaningehalte. Den Züchtern gelang es, diesen Kundenwunsch zu erfüllen, allerdings mussten sie dafür ausgerechnet die Gehalte an Alkaloiden erhöhen. Nur so ließ sich der fehlende Schutz der Knolle durch die ehemals dickwandige Schale ausgleichen. Außerdem gibt es einen Trend zu immer kleineren Kartöffelchen – einerseits, weil sie auf dem Teller hübscher und kalorienärmer wirken, andererseits, weil sie schneller gar sind. Dadurch steigt die Alkaloidzufuhr erneut, da kleine Kartoffeln bei gleicher Menge mehr Oberfläche aufweisen und damit mehr Gift liefern. Wer auf Nummer sicher gehen will, bevorzugt heute größere Erdäpfel mit dicker Schale.
    Leider sind die Kartoffelalkaloide sehr stabil und werden durch Kochen nicht zerstört. In Pellkartoffeln bleiben sie weitgehend erhalten. Weshalb man für diese Zubereitungsart junge, frische Kartoffeln nutzt. Während der Lagerung steigen die Giftgehalte, deshalb werden sie geschält und als Salzkartoffeln serviert. Das Kochen kann den Alkaloiden nichts anhaben, allerdings laugt man damit einen Teil der Giftstoffe aus. Sie verschwinden mit dem Kochwasser im Ausguss. Für Kinder, die auf die Alkaloide empfindlicher reagieren als Erwachsene, eignen sich Pommes am besten, da Solanin und Co. beim Frittieren größtenteils entfernt werden. Da die Gifte aber ins Frittierfett übertreten und sich dort ansammeln, muss es rechtzeitig gewechselt werden. 41,43,48,50
    Und wie reagiert die Lebensmittelindustrie? Sie bietet Kartoffeln mit Schale für Kinder an! Ob «Naturchips» oder «Country Wedges», Hauptsache, es klingt ökologisch, gesund oder vollwertig. Sie handelt damit genauso skrupellos wie die «Experten» der Verbraucherzentralen oder die Redakteure der Frauenzeitschriften. Solche «naturbelassenen» Produkte haben es nämlich in sich: Chips mit Schale wiesen bis zu 72 Milligramm Alkaloide pro 100 Gramm auf. 50 Angesichts solcher Giftgehalte wirken Diskussionen über Höchstmengenüberschreitungen von Pestiziden geradezu lächerlich.
    Wo bleibt da die vielbeschworene Verantwortung der Hersteller? Was wurde aus dem «vorbeugenden
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