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Wer hat Angst vorm bösen Mann?

Wer hat Angst vorm bösen Mann?

Titel: Wer hat Angst vorm bösen Mann?
Autoren: Borwin Bandelow
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Lehrbuch habe er nie gelesen, er habe das nicht für nötig befunden.
    Ich frage ihn, wie er sich aus der Affäre gezogen hat, wenn er Blut abnehmen oder Labortests und Kernspintomographien beurteilen musste.
    «Ich musste das gar nicht», erwidert Postel, «ich hatte meine Assistenzärzte, die zum Teil Fachärzte waren. Es ist in dem Zusammenhang ja auch interessant, dass mir trotz heftigster Ermittlung kein einziger Behandlungsfehler nachgewiesen werden konnte. Ich war sogar Vorsitzender bei Prüfungen zum Zusatztitel Psychotherapie. Einige Kandidaten waren kaum an Psychotherapie interessiert, es ging ihnen nur um zusätzliche Liquidationsmöglichkeiten. Die habe ich auch gern mal durchfallen lassen – unter Hinweis auf den Verbraucherschutzgedanken. Ich war zudem der Weiterbildungsbeauftragte und habe selbst einige Vorträge gehalten. Einmal war ein bekannter Ordinarius und Autor eines nicht minder bekannten Lehrbuchs anwesend. Ich fragte ihn, ob er die bipolare Depression dritten Grades – so etwas gibt es gar nicht – im universitären Bereich oft diagnostiziere. Er antwortete – sehr, sehr arrogant –, so etwas sehe man gelegentlich, aber nicht oft.»
    Eine Hauptaufgabe in der Forensik sei es, Gerichtsgutachten über psychisch kranke Straftäter zu machen, erkundige ich mich weiter.
    «Ja, natürlich», entgegnet der Hochstapler. «Über alles – Mord, Vergewaltigung, Drogengeschichten. Ich hatte als Vorlage Gutachten bekannter Forensiker wie Norbert Leygraf, Hans-Ludwig Kröber oder Norbert Nedopil zur Verfügung, daran habe ich mich orientiert. Nur zwei Gutachten mussten völlig neu gemacht werden. Später sagte man, der Weg sei dabei zwar falsch gewesen, aber in der Sache sei richtig entschieden worden.»
    «Wenn es um Lockerungen für Patienten ging, waren Sie eher tolerant oder eher vorsichtig, auf Sicherheit bedacht?»
    «Ich war eher zurückhaltend. Ich bin nicht inflationär mit Strafmilderungen umgegangen. Als ich einmal dem leitenden Oberstaatsanwalt sagte, meine Meinung sei, dass jemand, der eine Straftat begeht, auch ein Recht auf eine Antwort durch die Gesellschaft in Form einer Strafe hat, und dass es unbarmherzig sei, ihm diese Antwort in Form lauer Gutachten zu unterschlagen – da bekam er leuchtende Augen.»
    Es wurde berichtet, er, Postel, sei gegenüber den Patienten und Assistenzärzten herablassend gewesen, stelle ich jetzt in den Raum.
    «Das stimmt», räumt er ein, «aber nicht, weil ich so arrogant war, sondern weil das zur Rolle eines Oberarztes gehörte. Man übernimmt die Körpersprache, die emotionalen Ausdrücke, die mit einer solchen Position verbunden sich. Das hat mich auch unangreifbar gemacht. Die Ärzte hatten wahnsinnige Angst vor mir. Eine Oberarztvisite war vergleichbar mit einem Pontifikalamt – oder früher mit der Funktion eines Kolonialoffiziers. Titel sind ja so etwas wie Persönlichkeitsprothesen.»
    «Man hat Ihnen sogar angeboten, Chefarzt zu werden.»
    «Ja», antwortet Gert Postel, «das war der Sozialminister von Sachsen, Dr. Hans Geisler. Der Minister bot mir an, die psychiatrische Klinik in Arnsdorf bei Dresden als Chefarzt zu übernehmen. Und später, so sagte er, könne ich noch die Universitätsprofessur für Forensik bekommen.»
    «Professur ohne Habilitation?», hake ich nach.
    «Ja, ohne Habilitation, man hätte mir dann eine ‹habilitationsadäquate Leistung› bescheinigt. Und wenn ich mich dort bewährt hätte, so gab man mir zu verstehen, könne man später über eine Referentenstelle im Ministerium nachdenken. Ich sagte, ich sei viel zu jung dafür. ‹Ihre Bescheidenheit ehrt Sie›, erwiderte der Minister.»
     
    Der Betrug wurde nicht etwa aufgedeckt, weil Postel in seinem Job versagt hatte, sondern weil eine junge Assistenzärztin den Namen ihres Oberarztes ihren Eltern in Bremen gegenüber erwähnt hatte. Die kannten die Familie Postel. Die Ärztin informierte den Chefarzt, und der rief daraufhin bei der Polizei an: «Ich habe hier einen Arzt, der ist in Wahrheit Postbote.» Worauf der Polizist erst einmal den Hörer auflegte.
    Postel gelang es, dem drohenden Zugriff der Polizei zu entkommen. Zehn Monate lang foppte er auf seiner Flucht die Polizei.
    «Ich war in Berlin, als eine Bekannte mich warnte, man sei mir auf der Spur», bemerkt Postel. «Ich hatte daraufhin etwas vorbereitet. Und siehe da, am nächsten Morgen um acht Uhr, ich frühstückte gerade, da ging der Fahrstuhl. Durch den Türspion habe ich es mir angeschaut.
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