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Wer einmal auf dem Friedhof liegt...

Wer einmal auf dem Friedhof liegt...

Titel: Wer einmal auf dem Friedhof liegt...
Autoren: Léo Malet
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graubewohnter Stein, gegenüber, häßlicher noch, die stillgelegte Werkhalle von
Citroën. Die Pariser Autostadt hat ihren Motor abgwürgt. Leerlauf in Levallois.
Bonjour tristesse.
    Ein paar Schritte weiter nur die
Seine. Aber hier draußen ist mit dem Fluß kein Sonntagsstaat zu machen. Wenn da
nicht die Île de la Grande-Jatte wäre. Hingegossen wie ‘ne faule Schnecke ,
meint Burma.
    Zwei Kilometer lang, kaum mehr als
zweihundert Meter breit, an beiden Enden spitz zulaufend, teilt die Jatte-Insel
die Seine in zwei Arme. Hohe Baumreihen geben der Insel Licht-und Sichtschutz
und lassen die seelenlose Vorstadt in eine ländlich anmutende grüne Idylle
hinübergleiten. Am Ufer haben Lastkähne und Hausboote festgemacht. Schwimmende
Ausflugslokale locken die Kundschaft mit wohlfeilen Menüs, die den Eindruck
erwecken, als sei das Meer nicht mehr weit.
    „ Ein
Café auf Pfählen mit einem Bootshaus. Zwei schaukelnde Boote zerren an ihren
Ketten, aber die Pflöcke geben sie nicht frei .“ Guinguettes hat man diese Herbergen
am Wasser früher genannt, als die Familien am Wochenende an die Seine und Marne
hinauszogen und adrett herausgeputzte Dienstmädchen auf dem Tanzboden nach
feschen Freiern Ausschau hielten. Renoir vor allem hat diese
Sonntagnachmittag-Feste in zarten Pastelltönen immer wieder festgehalten.

     
    Der Abschied von gestern ist noch nicht
vollzogen. Burma fände sich noch immer (oder nun wieder) zurecht.
    „ Ich
sehe mir den Boulevard de Levallois an, der wie eine Art Ringstraße an der
Seine entlangführt. Eine Werkstatt für Karosseriebau, eine andere für
Diebstahlsicherung, eine weitere für Federung und eine für Getriebe... am
äußersten Ende der Insel ein schwacher Bretterschuppen. Ein geteerter Holzbau
von schaurig-giftgrünem Aussehen. Die Scheiben eines breiten Fensters und eines
Oberlichts über der Tür sind kaputt oder völlig verdreckt. “
    Es gibt noch viele solcher Schuppen,
meist verschlossen und dem langsamen Verfall preisgegeben. Ein seltsamer
schäbiger Kontrast zu den auffallend gepflegten Häusern auf der anderen
Straßenseite. Ein düsteres Mahnmal an Zeiten, in denen hier gebastelt und gewerkelt
wurde und ein gewisser Monsieur Désiris in seinem Holzverschlag bei
Schummerlicht am Reißbrett über seinen genialen Plänen saß, die später in der
Erde vermoderten.

    Gleich neben Levallois liegt der Nobelvorort
Neuilly. Was für Rennpferde das Hippodrom von Longchamp oder Auteuil, ist für
deren Besitzer eine Villa in Neuilly. Und auch die hochmotorigen Karrossen, die
von livrierten Chauffeuren über breite Kieswege auf’s prachtvolle Grundstück
gesteuert werden, haben mehr Pferdestärken als sonstwo in Paris. Eine Adresse
in Neuilly ist eine Visitenkarte mit Goldrand und reicht bei diskreten
Geldgeschäften meist als verläßliche Referenz bei der Bewilligung eines
Großkredits. Selbst gutbetuchte Kranke zieht es in den vornehmen Westen von
Paris. Das amerikanische Hospital ist zwar nur ein nüchterner Backsteinbau,
besitzt aber eine weltweite Reputation. Schwangere Gattinnen von
Provinznotabeln reißen sich nicht nur im Einzelfall um’s Wochenbett in Neuilly.
    Standesbewußte Kenner der
Immobilienszene wissen freilich um Alternativen auf der Wohnungssuche, sollte
Neuilly ausgebucht sein. Auch wenn die legendären Champs-Elysées längst als
Heimstätte abgewirtschaftet haben, da in Beschlag genommen von Autofirmen und Fluggesellschaften
und überlaufen von Touristen, so sind die sternförmig vom Are de Triomphe
abzweigenden Straßen doch noch immer sehr begehrt. Die Avenue Foch zum Beispiel
(siehe „Das stille Gold der alten Dame“) oder auch die Avenue de la Grande
Armée. Die ist zwar nur halb so lang wie die Champs-Elysées, aber ebenso breit
und auf den ersten Blick kaum weniger mondän. Das großbürgerliche Anwesen Nr.
65 bewohnte Ende des vergangenen Jahrhunderts eine gewisse Thérèse Humbert,
eine ebenso ehrgeizige wie verschwendungssüchtige Dame, der es gelungen war, in
die Familie des damaligen Justizministers und Präsidenten des Rechnungshofes
einzuheiraten. Die lebensfrohe Schwiegertochter brachte zwar kein Vermögen,
aber das Talent in die Ehe ein, ohne eigene Barschaft immer neue Geldquellen
anzuzapfen. Als die Schulden im Haus Humbert in die — zig Millionen gingen und
die Gläubiger — viel zu spät! — auf Rückzahlung pochten, wurde einer der
größten Finanzskandale der Jahrhundertwende offenbar. Der Fall Humbert geriet
gutgläubigen
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