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Wer Bist Du, Gott

Titel: Wer Bist Du, Gott
Autoren: Anselm Gruen
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sie bedingungslos annimmt.
    Diese Menschen tragen oft ein Bild von Gott in ihrem Herzen, das diesem Bild von Gott als barmherzigen Vater diametral entgegensteht. Sie tragen nicht nur dieses Bild von Gott in sich, sie erleben Gott auch als eine Kraft, die ihnen das Leben zur Hölle macht, sie mit schwersten Gewissensbissen belädt, etwa, weil sie homosexuell sind, weil sie gegen kirchliche Normen verstoßen haben, weil sie den Erwartungen ihrer Eltern oderVorgesetzten nicht entsprochen haben, und so weiter.
    In solchen Fällen ist es oft schwer, ein Bild von Gott zu vermitteln, das Gott als eine Kraft, als ein personales Gegenüber versteht, das niemanden verachtet und verurteilt. Hier genügt es nicht, von dem gütigen und allbarmherzigen Gott zu sprechen. Hier ist es oft wichtig, dass Menschen durch die Begegnung mit anderen Menschen, die sie bedingungslos lieben, die Erfahrung machen, bedingungslos geliebt zu werden. Sie müssen eine Erfahrung machen, die andere, alte
Erfahrungen, bei denen sie sich als nicht bedingungslos geliebt erfahren haben, aufhebt und als nicht länger gültig erweist. Das kann oft lange dauern und wird mit vielen Widerständen einhergehen, bis vielleicht doch am Ende die bedingungslose Liebe des Therapeuten oder eines anderen Menschen bis zu ihrem Herzen durchdringt, bis deren Liebe bei ihnen ankommt, Liebe auf Liebe trifft und die Liebe des Menschen, der sich als nicht geliebt erlebt, erlöst und befreit wird, sodass sie fließen und wieder leben kann. Es ist die Macht der Liebe, die hier »Wunder« zu bewirken vermag.
    Das wäre ein Beispiel dafür, wie ich dazu beizutragen versuche, ein sogenanntes negatives Gottesbild um ein positives Gottesbild zu ergänzen, mitunter auch zu ersetzen. Dabei sehe ich da letztlich nur dann eine Chance, wenn es mir gelingt, die Erfahrungsebene anzusprechen und dort hineinzuwirken.
     
     
    ANSELM GRÜN: Sosehr wir diese negativen Gottesbilder auflösen müssen, damit der Mensch ganz Mensch sein kann, so steckt in jedem dieser Bilder doch auch ein Kern von Wahrheit.Wenn wir diese Bilder nur wegwischen, dann sind wir in Gefahr, uns allzu harmlose Gottesbilder zu formen, die uns angenehmer sind.Aber dann werden wir weder dem Wesen Gottes noch unserem eigenen Leben mit seinen Widersprüchen gerecht.
    Die Kunst würde darin bestehen, den Kern von Wahrheit und die therapeutische Dimension dieser alten Gottesbilder neu zu entdecken, diese Gottesbilder so zu beschreiben, dass sie uns zum Leben und in die Wahrheit führen.

Vom richtenden Gott
    WUNIBALD MÜLLER: Du meinst also, ohne jetzt Gott auf dieses oder jenes Bild - etwa das des strengen Richters - zu reduzieren, dass in diesem Bild ein Fünkchen Wahrheit über Gott zum Ausdruck kommen könnte, der wir nicht zu schnell aus dem Weg gehen sollten. Das leuchtet mir ein. Das heißt, unsere Zurückhaltung, zum Beispiel auch vom Richter-Gott zu sprechen, soll nicht so weit gehen, jetzt gar nicht von einem richtenden Gott zu sprechen, weil Menschen, die einseitig von diesem Gottesbild geprägt sind, zunächst einmal einen Zugang zum barmherzigen und bedingungslos liebenden Gott finden müssen. Gerade bei Fragen von echter Schuld finde ich es wichtig, diese nicht zu übergehen, sondern ernst zu nehmen. Doch wie gehst du vor, wenn du vom Richter-Gott sprichst?
     
     
    ANSELM GRÜN: Ich möchte es nur zu erklären versuchen: Lange Zeit habe ich nie über den Richter-Gott gesprochen, weil ich oft genug den Richter-Gott als den verurteilenden Gott bei mir selbst und bei den Klienten erkannt habe. Aber dass Gott Richter ist, dass er das Leben immer wieder so ausrichtet, dass es richtig wird, dass die Menschen richtig und aufrecht leben können, das ist durchaus eine positive Botschaft. Gott ist nicht ohnmächtig.
    Wenn wir den Gedanken des Gerichtes weglassen, das uns im Tod erwartet, dann können wir uns kaum vorstellen, dass Täter und Opfer im Himmel zusammenleben können. Entweder werden wir dann rigoros: Alle Täter werden in der Hölle landen. Oder aber das Leben wird beliebig: Es ist ganz
gleich, wie ich hier lebe, wir werden doch alle in den Himmel kommen. Das führt aber bei den Opfern zur Resignation: Die Täter haben das gleiche Schicksal wie wir Opfer. Damit Täter und Opfer zusammenleben können, müssen sie gerichtet werden, ausgerichtet werden auf Gott, ausgerichtet auf die Liebe, auf die Wahrheit, auf die Vergebung.
     
     
    WUNIBALD MÜLLER: Da muss ich unwillkürlich an Michelangelos »Jüngstes
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