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Wer Bist Du, Gott

Titel: Wer Bist Du, Gott
Autoren: Anselm Gruen
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übrigen Menschen, durch die er durchaus auch zu uns sprechen kann.Wenn ich diese Theologie Rahners auf mich beziehe, so heißt es für mich: In Jesus geht mir auf, wer Gott ist. Gott entschwindet oft meinem Denken und Vorstellen. Oder ich merke, dass ich mir Gott nach eigenen Wünschen vorstelle. Jesus ist konkret. Er ist sperrig. Er lässt sich nicht so einfach in mein Schema der Gotteslehre pressen. Er sagt Worte, die provozieren. So begegnet mir Gott in Jesus als der andere, als der Fremde. Er tritt mir gegenüber. Er lässt sich nicht einfach vereinnahmen. Wie erlebst du Jesus und was bedeutet er für dich?
     
     
    WUNIBALD MÜLLER: In Jesus bekommt für mich der unfassbare Gott, so unfassbar er bleibt, ein menschliches Gesicht. Ich finde das wunderbar. Der unermessliche Gott kommt uns in Jesus Christus nahe. Auf die Frage, wie er sich Gott vorstelle, antwortete der Münchner Erzbischof Reinhard Marx (2009, S. 36): »Gott ist für uns Menschen nicht konkret vorstellbar. Er ist der Schöpfer des ganzen Alls, das absolute Geheimnis. Das übersteigt jede Vorstellungskraft. Aber ich glaube: Er hat sich uns gezeigt in Jesus von Nazaret.
Jetzt haben wir einen Weg zu ihm, dem eigentlich Unbegreiflichen. Der menschgewordene Gott ist für uns eine Brücke.« Diese Sätze geben gut wieder, welche Bedeutung Jesus für mich in Bezug auf Gott hat. Der unbegreifliche Gott, zu dem ich auch immer wieder »Du« sagen kann, kommt mir in Jesus noch näher.

Jesus ist sehr konkret
    ANSELM GRÜN: Die Personalität Gottes wird für mich in Jesus konkret. Jesus ist eine Person, die mir gegenübertritt. Ich habe manchmal den Verdacht, dass sich Menschen, die mehr eine vage Spiritualität leben, schwertun mit dem Anspruch Jesu. Jesus begegnet ihnen als Fremder, als einer, der sie herausfordert. Sie möchten aber Gott mehr für sich vereinnahmen und für sich benutzen, als sich von Gott infrage stellen zu lassen.
    Jesus stellt mich infrage. Ich kann mir seine Worte nicht zurechtbiegen. Natürlich weiß ich, dass die Kirche die Worte Jesu oft missbraucht hat, um sich Menschen gefügig zu machen. Auch die Kirche muss sich immer wieder neu dem Wort Jesu stellen. Jesus stellt auch die Kirche kritisch infrage. Aber für mich ist Jesus der, der mich dazu herausfordert, in seinem Verhalten und seinen Worten nach dem unbekannten Gott zu suchen - nach dem Gott, der sehr konkret in mein Leben hineinspricht und mich herausfordert, umzukehren und umzudenken.

     
     
    WUNIBALD MÜLLER: Darin kommt ganz klar auch für mich die große Bedeutung Jesu als Inkarnation Gottes zum Ausdruck. Jesus weist uns darauf hin, dass es nicht nur ein innerer Vorgang ist, in die Beziehung zu Gott zu treten, sondern Konsequenzen mit sich bringt. »In seinem aufgerissenen Leib am Kreuz sehen wir, wie Gott ist, dass er sich bis zu diesem Punkt für uns verausgabt... Er hat sich auf die Seite der Unschuldigen und Leidenden gestellt - und möchte auch uns dort sehen«, sagte Joseph Ratzinger (2006).
    Da lässt sich nichts herumdeuten. In aller Radikalität und Schärfe wird deutlich, was das Erkennungszeichen, was die Strahlkraft des Christen, der sich als Anhänger Jesu bekennt, ausmacht beziehungsweise ausmachen sollte: sich aufbrechen zu lassen für die Welt, für die Mitmenschen. Jesus hat es uns selbst vorgemacht. Jesus, in dem Gott menschliche Gestalt angenommen hat.
    Von einem anonymen, allgemeinen und unermesslichen Gott kann eine solche Dynamik nicht ausgehen. Dazu »bedarf« es eines personalen Gottes, der die Liebe ist und in Jesus als Liebe zur Welt jene Dynamik entfaltet, die alles neu macht. »Seht, ich mache alles neu!« (Offb 21,5).
     
     
    ANSELM GRÜN: Auch für mich ist Jesus sehr konkret. Er hindert uns daran, uns in unserer Spiritualität über andere zu stellen oder Spiritualität dazu zu missbrauchen, uns als etwas Besonderes zu fühlen, als Menschen, die viel bewusster leben als alle anderen. Diese Gefährdung von Spiritualität gab es zur Zeit Jesu bei den Pharisäern. Sie gibt es heute genauso. Spiritualität wird missbraucht, um sich selbst interessant zu machen und auf andere herabzusehen.

    Gegen diese Gefahr hat Jesus für mich ein höchst anstößiges Wort gesagt: »Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen:Wir sind unnütze Sklaven; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan« (Lk 17,10). Spiritualität heißt, das zu tun, was ich mir selbst, was ich dem anderen, was ich dem Augenblick, was ich Gott schuldig bin. Das
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