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Wer Bist Du, Gott

Titel: Wer Bist Du, Gott
Autoren: Anselm Gruen
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Gericht« in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan denken. Ich hatte vor einigen Jahren eine Sonderführung und daher viel Zeit, das Gemälde auf mich wirken zu lassen. Das Inferno, die Panik, die Endzeitstimmung, die hier eingefangen werden, berührten mich zutiefst. Die totale Verwirrung. Die Ausweglosigkeit. Das Hinabstürzen. DerVersuch, sich festzuhalten, sich hochzuziehen, vor dem Verderben bewahrt zu werden. Auch die Gesichter derer, die gerettet werden, sind gezeichnet von dem Entsetzen über das Geschehen.
    Solche und ähnliche Bilder haben sich tief in die Herzen von Menschen eingeprägt und können auch ihr Bild von Gott und natürlich auch von Gottes Gerechtigkeit bestimmen. Da ist die Furcht, eines Tages vor Gott nicht bestehen zu können, dort die Hoffnung, dass es wenigstens am Ende gerecht zugeht und der belohnt wird, der gut, der bestraft wird, der schlecht war.
     
     
    ANSELM GRÜN: Als ich in Rom studierte, hatte ich über Ostern oft Besuch von meinen Geschwistern. Da habe ich sie immer in dieVatikanischen Museen und natürlich auch in die Sixtinische Kapelle geführt. Dort standen immer viele Menschen vor Michelangelos imposantem Gemälde. Da wird ein
anderer Christus dargestellt, als wir ihn in der damaligen Theologie kennengelernt haben. Es ist ein kraftvoller Jesus, aber auch ein Jesus voller Zorn über die Menschen, die sich von Gott abgewandt haben. Es ist ein revolutionäres Gemälde.
    Ich deute es so, dass Michelangelo damit gegen die Vereinnahmung Jesu durch die Kirche protestiert hat. Er wollte nicht den einfachen Menschen Angst machen, sondern die Christen aufrütteln, die sich in ihrem Glauben eingerichtet hatten. Manchmal braucht es diese andere Perspektive, damit wir den Glauben und das Leben nicht verharmlosen. Maria muss ihren Sohn gleichsam besänftigen, damit er nicht allzu streng richtet.
    Doch in diesem Gemälde sehe ich nicht nur das Bedrohliche, sondern auch das Kraftvolle. Michelangelo zeichnet nicht nur Jesus voller Kraft, sondern auch die Menschen zu beiden Seiten, sowohl die Verdammten als auch die Erlösten. Er drückt damit aus, dass es nicht darum geht, die Kraft der Leidenschaften abzuschneiden, sondern sie zu verwandeln. In den Himmel kommen nicht die Angepassten und Braven, sondern die, die ihre Leidenschaften vom Geist Jesu verwandeln lassen, der ja auch voller Leidenschaft ist, aber auch voller Klarheit und Gerechtigkeit.

Wenn Gott zum Tyrannen wird
    WUNIBALD MÜLLER: Mir begegnen in der Beratung Menschen, die sich vor Gott fürchten, die vor Gott Angst haben. Für sie ist Gott ein Tyrann, der ihnen an den Kragen will. Sie erleben Gott als jemanden, der sie kontrolliert, sie bestrafen, an ihnen Rache üben will. Sie haben ein Gottesbild, das verheerende Auswirkungen auf ihr Leben haben kann. Gott wird hier zum Monster, dem sie sich als hilflos ausgeliefert erleben. Um ihn gnädig zu stimmen, versuchen sie alles, was er ihrer Meinung nach von ihnen erwartet, zu erfüllen. Sie sind ständig auf der Hut, leben ständig in der Angst, es ihm nicht recht machen zu können.
    In solchen Fällen ist es wichtig, hinzuschauen, woher dieses Bild von Gott kommt, welche Erfahrungen dahinterstehen. Um schließlich, nachdem man den Betreffenden geholfen hat, sich von solchen Bildern von Gott zu verabschieden, einen anderen Zugang zu Gott zu bekommen. Gott mit der Zeit - und das kann sehr lange dauern - als einen Gott zu erkennen und dann vor allem zu erfahren, vor dem man sich nicht fürchten muss.
    Das heißt nicht, dass Gott nicht auch streng sein kann, uns nicht herausfordert oder ermahnt. Gott ist kein »Kuschel-Gott«. Entscheidend ist, dass uns Gott, auch wenn er uns ermahnt und herausfordert, bedingungslos liebt. Jeden einzelnen Menschen. Das ist für mich die zentrale Aussage: Wir fallen nie aus Gottes Liebe heraus.
    Dann kann Gott auch der richtende Gott sein, der sich für die Gerechtigkeit einsetzt. Sein richterliches Walten geht aber einher mit seiner bedingungslosen Annahme. Sein Ziel
ist es nicht, jemanden einfach abzustrafen. Ihm geht es vielmehr um die Umkehr, wenn wir von dem Weg abgewichen sind, der uns zu unserem inneren Frieden führt.
     
     
    ANSELM GRÜN: Ich kann nicht beliebig leben. Das steckt als Kern der Wahrheit hinter dem Bild des strafenden Gottes. Das heißt: Die Realität reagiert auf mein Verhalten. Wenn ich gegen mein Wesen lebe, dann rebellieren der Leib und die Seele. Wenn ich völlig maßlos in mich hineinesse und maßlos trinke, dann
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