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Wer anders liebt (German Edition)

Wer anders liebt (German Edition)

Titel: Wer anders liebt (German Edition)
Autoren: Karin Fossum
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Namen, die tief stehende Sonne ließ seine Haare leuchten. Sein Gesicht war noch immer unbeweglich, aber vielleicht hätten Menschen, die ihn gut kannten, die leichte Anspannung des Kiefers entdeckt. Er ging auf das wartende Paar zu, Reinhardt Ris sah fast herausfordernd zu ihm hoch.
    »Wie gesagt«, sagte Sejer, »Sie müssen uns kurz auf die Wache begleiten.«
    Reinhardt sprang vom Baumstamm und stand vor dem Hauptkommissar Habtacht.
    »Sie können schon zum Auto gehen«, sagte Sejer. »Skarre und ich kommen gleich nach. Warten Sie einfach an der Rezeption auf uns.«
    Sie gingen zur Schranke zurück. Ihr Leben wird nie wieder dasselbe sein, dachte Sejer, denn das hier ist ein Erlebnis, das sie aus der Bahn wirft. Das zeigen sie deutlich, der Mann, indem er seine Männlichkeit übertreibt, die Frau, indem sie hilflos hinter ihm her stolpert.
    Dann ging er eilig zurück zu Jonas August Løwe.
    6
     
    Die Wache ragte in der geschäftigen Straße auf, ein rotbrauner, majestätischer Koloss aus Glas und Stein. Hoch oben an der Wand war das Emblem der Polizei angebracht, das Metall leuchtete in der Sonne. Der Bau strahlte Macht und Autorität aus. Reinhardt öffnete die Glastür und ging hinein, Kristine folgte ihm eilig. Die Rezeption war ein großer, offener Raum mit einem runden, braun lackierten Tresen, dahinter saß eine Frau, die sie fragend anschaute, das blaue Licht eines Computerschirms ließ sie blass aussehen.
    »Kann ich irgendwie behilflich sein?«, fragte die Frau.
    »Wir warten auf Konrad Sejer«, sagte Reinhardt.
    Sie setzten sich auf ein Sofa, er trommelte mit den Fingern auf die Armlehne. Die Frau konzentrierte sich wieder auf ihren Bildschirm, Kristine streifte die rote Jacke ab.
    »Das dauert sicher ewig«, sagte Reinhardt verärgert.
    »Ich kann bis zum Abend hier herumsitzen«, sagte Kristine, »ich schaff sonst ja doch nichts. Kleider waschen oder Essen kochen, das wäre total unmöglich.«
    Reinhardt sprang auf und lief im Raum hin und her, schaute ungeduldig aus den Fenstern. Wieder zog er sein Telefon aus der Tasche und kehrte Kristine dabei den Rücken zu.
    »Was machst du?«, fragte sie besorgt.
    »Eine SMS schreiben.«
    Sie folgte ihm nervös mit den Augen, er hatte eine ganz eigene Energie, das wusste sie aus anderen Situationen. Damals, als er vierzigtausend Kronen von der Steuer zurückbekommen hatte, damals, als sie das Auto gekauft hatten, den silberfarbenen Rover. Die Art, wie er in das Autogeschäft gegangen war, wie ein breitbeiniger Seemann. Diese Seite an ihm gefiel ihr nicht, dass er sich immer vorzeigen musste, und mit jedem Jahr wurde ihr Unwille größer. Also versuchte sie, ihn von einer anderen Seite zu sehen, einer guten Seite, denn er war ihr Mann, und sie wollte doch großzügig sein. Er war ein treuer und hart arbeitender Mann mit breiten Schultern und struppigem, sandfarbenen Schopf. Wenn sie mit ihm über die Straße ging, kam es vor, dass andere Frauen sich umdrehten und hinter ihm herschauten. Sie selbst war so zierlich, und dass er soviel größer war als sie, hatte sie früher einmal anziehend gefunden, sie hatte sich getragen gefühlt wie ein Kind. Er war der Beschützer, er sorgte für alles. Aber plötzlich konnte er auch zum verspielten Jungen werden, sie in die Luft heben und zärtlich sein. Dann liebte sie ihn wieder, war fast glücklich, dann konnte sie alles hinnehmen. Und so schwankte sie die ganze Zeit hin und her und geriet angesichts dieses Zwiespalts in tiefe Verwirrung. Endlich steckte er das Telefon wieder ein. Er setzte sich und seufzte tief.
    »Ja, ja«, sagte er. »Jetzt haben wir jedenfalls Gesprächsstoff.«
    »Wir haben nur einen kleinen Jungen gefunden«, sagte sie leise.
    Sie sah ihm nicht in die Augen, sie starrte auf ihren Schoß.
    »Was heißt denn hier nur«, sagte Reinhardt. »Irgendwer hat ihn umgebracht. Ich meine, zuerst hat er etwas anderes getan, ja, das will ich nicht einmal laut aussprechen, und dann hat er ihn umgebracht.«
    »Wir wissen nicht, wie er gestorben ist«, widersprach sie.
    »Kristine«, sagte er resigniert. »Erzähl mir doch nicht, du wüsstest nicht, was hier Sache ist, also echt, wofür hältst du mich?«
    Reinhardt befand sich in der seltenen Situation, dass er als Erster an einem Tatort gewesen war. Darüber hinaus hatte er aus wenigen Metern Entfernung einen Mann beobachtet, einen Mann, der weggelaufen war. Er war, so sah er das, bedeutend und wichtig, Kristine sollte machen, was sie wollte, aber sie sollte ihm
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