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Wenn nur dein Lächeln bleibt

Wenn nur dein Lächeln bleibt

Titel: Wenn nur dein Lächeln bleibt
Autoren: H Lind
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schmerzhaft sind und auch, dass der Wehentropf eine verschärfte Variante darstellt, Folterstufe drei sozusagen. Aber kein Mensch steht das acht Stunden lang ohne Pause durch. Ich war so allein! Wenn wenigstens Bernd hier gewesen wäre! Doch der war »auf Arbeit«, denn so etwas Profanes wie die Geburt des ersten Kindes war noch lange kein Grund, sich freizunehmen. Wo kämen wir denn da hin. Wenn das jeder machen wollte.
    Die nächste Wehe überrollte mich wie eine Dampfwalze. Sie fuhr mir in die Flanken, bohrte sich in meine Gedärme. Atmen!, beschwor ich mich. Atmen. Tapfer bleiben. Du warst Leistungssportlerin. Du bist oft an deine Grenzen gestoßen. Du hast immer durchgehalten. Du schaffst das. Du bist keine Memme.
    Bernd!, dachte ich nur. Bernd, wenn du jetzt hier wärst! Ein- und ausatmen. Im Westen, das hatte mir Elke noch erzählt, durften die Väter dabei sein. Sie hielten ihren Frauen die Hand, tupften ihnen den Schweiß von der Stirn und sprachen ihnen Mut zu. Ich kniff die Augen zusammen und hielt den Atem an, als mich die nächste Wehe aus dem Tropf schier in Stücke reißen wollte. Lenk dich ab! Denk an was Schönes!
    Bernd. Mein geliebter, wunderbarer, fürsorglicher Bernd. Allein wie er das Kinderzimmer eingerichtet hatte! Die entzückende Teddybär-Tapete, die er auf unerklärliche Weise irgendwo erstanden hatte. Die hübschen orangefarbenen Gardinen, die ich genäht hatte. Wie verheißungsvoll die sich im Frühlingswind gebauscht hatten! Die Kommode, die Bernd selbst gezimmert hatte. Die bezaubernde rustikale Holzwiege, ebenfalls Marke Eigenbau. Die Stoffwindeln, die Mutti aus der Kiste unter ihrem Bett hervorgeholt hatte! Jede einzelne davon hatte ich gewaschen und gebügelt, sorgfältig in die Schublade geräumt, zusammen mit den winzigen selbst gestrickten Schühchen, den Stramplern und dem Holzpferdchen, das einmal Bernd gehört hatte. Nur einen Teppich hatten wir nicht bekommen. In der ganzen DDR hatte es keinen Teppich zu kaufen gegeben. Noch nicht mal einen winzigen Bettvorleeeeee …
    Aah! Bitte! Nein! Aufhören! Wieder spürte ich das Messer in meinen Eingeweiden. Warum kam denn keiner? Warum ließen sie mich hier ganz allein? Aus den Augenwinkeln starrte ich auf die Wanduhr, die unbarmherzig langsam tickte. So musste es in der Folterkammer sein. Im Stasi-Gefängnis. Genau so. So machten sie einen weich. Ich wäre zu jeder Falschaussage bereit gewesen. Der große Uhrzeiger maßregelte mich. Er lehrte mich Demut und Geduld, er zwang mich in die Knie. Tick. Zwanzig Minuten nach fünf. Tick. Einundzwanzig Minuten nach fünf.
    »Hädicke?«
    Nur noch verschwommen nahm ich die Gestalt im Schwesternkittel wahr, die nun in der Tür stand.
    »Ja!«, stöhnte ich, »bitte tun Sie was!«
    »Na, was tun müssen Sie schon selbst! Wir übernehmen hier nicht das Kinderkriegen!«
    »Können Sie mir bitte, bitte ein Schmerzmittel geben?«
    »Ich denke gar nicht daran, einfach so mit Volkseigentum um mich zu werfen! Was glauben Sie, welchen Ärger ich da kriege! Bisschen was aushalten müssen Sie schon!«
    Die Gestalt näherte sich unwillig. Ihre Plastiklat schen schmatzten über den Linoleum-Fußboden. Eine Hand packte meinen Arm, kalte Augen fixierten erst den Wehentropf, dann die Uhr.
    »Machen Sie mal die Beine breit!«
    Die kalten Augen bohrten sich zwischen meine Beine, dann wurde mit einem Stahlrohr in meinem Unterleib herumgestochert. Ich brüllte vor Schmerz.
    »Die Maßnahme wird für heute abgebrochen.«
    Alles in mir weinte vor Dankbarkeit. Sie würde mich jetzt losbinden. Die Folterung würde für heute eingestellt werden.
    »Der Muttermund öffnet sich heute nicht mehr. Wir machen morgen weiter.«
    »Ja, ja, danke, danke …« Mir liefen die Tränen der Erschöpfung, der Demütigung, der körperlichen und seelischen Qualen über die Wangen und versickerten im groben Stoff des Kopfkissens, in das ich die ganze Zeit gebissen hatte, um nicht laut schreien zu müssen.
    »Ich habe hier jetzt Feierabend. Aber Sie bleiben noch so lange am Wehentropf, bis die Flasche durchgelaufen ist.«
    »Bitte machen Sie sie ab!«, flehte ich, »ich halte das nicht länger aus!«
    »Ich habe gesagt, Sie bleiben so lange dran, bis sie durchgelaufen ist! Was glauben Sie, welchen Ärger ich bekomme, wenn ich ne angebrochene Flasche in den Müll werfe! Das ist Verschwendung von Volkseigentum!«
    »Bernd«, wimmerte ich. »Hilf mir!«
    »Ihr Bernd war eben da. Zur Vatistunde. Der konn te gleich wieder gehen. Sie haben
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