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wenn es Zeit ist

wenn es Zeit ist

Titel: wenn es Zeit ist
Autoren: Florian Tietgen
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Weißt du etwas?«
    Jetzt ist er fast so misstrauisch wie sein Freund bei der Kripo. Leichte Unsicherheit schwingt in seiner Stimme mit.
    Ich räuspere mich. Meine Mutter hat sich zwar inzwischen in den Sessel gesetzt, aber das Wort Vater möchte ich trotzdem besser nicht erwähnen.
    »Ah«, sagt Herr Siebert, »ich verstehe. Soll ich meinem Freund mal den Tipp geben?«
    Ich zögere. Kann ich das tun? Was auch immer er getan hat, er ist mein Vater . Ich hatte nur einen miesen Traum. Aber andererseits hätte ich Gewissheit.
    »Lass dir Zeit. Oder gib mir am besten gar keine Antwort. Schließlich bin ich der Journalist.«
    »In Ordnung.«
    »Was machen deine Heilkräfte?«, will er wissen und ich atme erleichtert aus. Jetzt ist es egal, ob Mama mithört.
    »Ich habe sie lange nicht gebraucht.«
    »Aber du bestreitest nicht mehr, sie zu haben?«
    » Irgendetwas wird wohl da sein.«
    »Das freut mich.«
    Auf einmal ist er richtig nett. Aber nicht so nett, ihm von Jan zu erzählen, von dieser merkwürdigen Verquickung, die nur Michi kennt.
    »Wie gesagt, wenn du darüber reden willst, ruf mich an. Ich habe viel über solche Phänomene gelesen. Am Anfang scheinen es alle als Fluch zu erleben. Vielleicht schützt es vor Hochmut?«
    » Warum interessieren Sie sich so dafür? Haben Sie auch solche Kräfte?«
    »Nein. Und glaube mir, ich bin froh darüber. So kann ich in meinem Beruf wenigstens ein bisschen Arschloch sein. Empathie ist gut für Journalisten, aber zu viel davon behindert nur. Sie macht zu weich.«
    »Empathie?«
    »Einfühlungsvermögen.«
    Ich bedanke mich für den Anruf, sicher, er wird die Spur meines Albtraums verfolgen. Ich bitte ihn nicht, mir darüber Bescheid zu geben. Dabei wollte ich doch genau das wissen. Ich habe Angst davor.
    »Wer war denn das nun?«
    »Ach, nur der Reporter, der hier alles durchgeschnüffelt hat.« Je beiläufiger ich das sage, um so eher komme ich wieder zu Michi in mein Zimmer ohne lästige Fragen beantworten zu müssen und kann vielleicht endlich den Schlaf nachholen, der mir nach den beiden letzten Nächten fehlt.
    »Und was hatte der noch mit dir zu besprechen?«
    Meistens genieße ich die Zigaretten, die ich mit meiner Mutter in unserem Wohnflur rauche. Jetzt aber heißt die Geste der hingehaltenen Schachtel: ›Bleib hier und antworte mir!‹ Diese verdammte Neugier. Ich nehme die angebotene Zigarette, zünde sie an und überlege, welche Antwort am ungefährlichsten wäre.
    »Er hatte mir seine Visitenkarte gegeben, falls ich es mir überlege und er doch mal über mich schreiben darf.«
    Der Blick meiner Mutter ist forschend, so als such e sie eine verräterische Spur in meinem Gesicht, eine wachsende Nase, wie bei Pinocchio. Ich kann ihm nicht standhalten, muss daran vorbei sehen.
    »Und dazu fragst du nach Fingerabdrücken? Verschweigst du mir etwas? Hast du was angestellt?«
    Ruhig blase ich den Dunst der Zigarette aus. »Nein.«
    »Ehrlich nicht?«
    Ich schüttle den Kopf. »Ganz bestimmt nicht.« Immer noch liegt ihr Blick auf mir. Jetzt kann ich ihm standhalten, in sogar erwidern. »Du musst dir keine Sorgen machen.«
    Die Fingerabdrücke sind egal, wenn sie sich keine Sorgen machen muss. Mehr fragt sie nicht. Die Suche in meinem Gesicht hat ihr keinen Anlass zu weiterer Sorge gegeben.
    Ich rauche die Zigarette zu Ende, stehe auf, gebe meiner Mutter einen Kuss auf die Stirn und wünsche ihr eine gute Nacht.
    »Du sagst mir, wenn du Kummer hast?«
    »Habe ich doch immer getan, Mama.«
     

Vom Wiedersehen (1976)
     
    Zum Spielen musste er seine Heimat immer verlassen. Es gibt im ganzen Bezirk nicht eine einzige Spielhalle. Auch gezeugt hat er nicht hier. Ich bin weit fort auf einer Ferieninsel nachts in die Sehnsüchte eines jungen Mädchens gepflanzt worden und habe diese zerstört.
    Aber sonst ist m ein Papa immer in der Heimat geblieben.
    In Fuhlsbüttel geboren und aufgewachsen, dort gelebt und bei Röntgenmüller gearbeitet, ganz in der Nähe des Flughafens, wohnt er jetzt immer noch dort. Irgendwann wird er auch in diesem Hamburger Stadtteil auf dem Ohlsdorfer Friedhof begraben werden.
    Am Hasenberge 26 lautet jetzt seine offizielle Postanschrift in Hamburg 63. Keinen Kilometer von hier ist das Hallenbad, in dem wir morgens immer geduscht haben. Keine fünfhundert Meter von hier ist die Schleuse, bei der Jörg an einem kalten und regnerischen Novembermorgen aus dem Wasser gezogen wurde.
    Ich muss es auf gut Glück versuchen. Meine Postkarte konnte er nicht
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