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Wenn die Würfel fallen

Wenn die Würfel fallen

Titel: Wenn die Würfel fallen
Autoren: Carter Brown
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verblassen.
    Ohne auch nur das kleinste
Fetzchen am Leibe zu tragen, stand sie bewegungslos sechzig aufpeitschende
Sekunden im Lichtkegel. Dann ging der Scheinwerfer so unvermittelt wieder aus,
wie er aufgeleuchtet hatte.
    Ein Protestgeheul erhob sich
vom männlichen Teil des Publikums. Schließlich machte es einem unterdrückten
Volksgemurmel Platz, als die Damen und Begleiterinnen um ihre Rechte rangen und
sie sich auch erkämpften. Die Kapelle spielte verträumte Weisen, aber niemand
hörte zu.
    Ich saß da und hoffte, daß es
im Hause einen Elektriker gab, der den Scheinwerfer reparieren konnte. Als ich
die Hoffnung aufgeben wollte, erstrahlte er wieder. Gabrielle stand mitten auf
der Bühne, aber jetzt war sie angezogen.
    Sie wartete lässig, bis der
Applaus verklungen war, dann trat sie vor das Mikrofon. »Ladies and Gentlemen«,
sagte sie mit tiefer, spöttischer Stimme. »Bitte entschuldigen Sie die Kürze
meines Auftrittes. Aber ich denke doch — und Sie werden mir zustimmen — , daß
ich auf alles Unwesentliche verzichtet habe!«
    Mit dem unverschämten Ausdruck
im Gesicht wartete sie, bis der Applaus verklang. »Und jetzt«, sagte sie sanft,
»kann ich noch irgend etwas für Sie tun?«
    Ein kleiner glatzköpfiger
Knacker in der ersten Reihe wollte ihr etwas vorschlagen, aber er verstummte
plötzlich, als ihn der spitze Ellbogen seines Eheweibes direkt über dem Herzen
traf.
    Gabrielles Augenbrauen hoben
sich fast unmerklich. »Ich glaube, ich sollte nicht mit der Tradition brechen«,
sagte sie, »aber ich bin durch und durch Künstlerin. Der Gedanke, daß mein
Auftritt eine Botschaft bedeutet, schmeichelt mir.«
    Sie trug ein schulterfreies,
enges Abendkleid mit einem Reißverschluß an der Seite. Jeder Gast wußte genau,
wo dieser Reißverschluß war, denn sie zog ihn auf. Langsam rutschte das Kleid
an ihrem Körper herab. Eine einzige geschmeidige Bewegung ihrer Hüften, dann
lag das Kleid auf der Bühne. Darunter trug sie einen weißen Unterrock.
»Vielleicht sollte ich singen oder sonst etwas tun?« fragte sie das Publikum.
    Der Unterrock folgte dem Kleid,
und nun stand sie in einem trägerlosen Büstenhalter und Höschen da, dessen
Spitzensaum ihre Schenkel garnierte. »Sie möchten also nicht, daß ich singe?«
fragte sie, und ihre Stimme klang enttäuscht wie die eines kleinen Mädchens.
»Soll ich vielleicht lieber tanzen?«
    Es war so still im Saal, daß
man einen Büstenhalter hätte fallen hören können. Aber das war es ja, worauf
jeder in diesem Augenblick wartete. Gabrielle zog einen Schmollmund und blickte
das Publikum an. »Ich glaube, Sie sind gar nicht nett«, sagte sie. »Ich werde
jetzt gar nichts mehr zu Ihnen sagen.« Sie kehrte den Zuschauern den Rücken zu,
ihre Finger glitten über ihren Rücken.
    Achtlos flatterte der
Büstenhalter zu Boden. Dann schob Gabrielle die Finger unter das Gummiband
ihres restlichen Kleidungsstückes. Sie stand auf einem Bein, während sie es mit
dem anderen hinter sich schleuderte. Es schwebte durch die Luft und drapierte sich
bescheiden um das Haupt des kleinen Glatzköpfigen.
    Dann drehte sich Gabrielle
langsam um. »Ich glaube, ich bedeute Ihnen nach allem nichts«, sagte sie
traurig.
    Erneut ging der Scheinwerfer
aus, und der Applaus brandete stürmisch auf. Als die Lichter wieder angingen,
stand der Ansager auf der Bühne und kündigte den Auftritt eines bekannten
Künstlers an, die Hauptnummer des ganzen Programms.
    Der bekannte Künstler war ein
berühmter Fernsehkomiker. Schon möglich, daß er eine Menge witziger Geschichten
vom Stapel ließ, aber ich hörte sie nicht. Witze kann man jederzeit in den
Comic-Heften kaufen, aber ein Mädchen wie Gabrielle läuft einem nicht alle Tage
über den Weg. Und außerdem hatte ich mit ihr dienstlich zu tun.
    Ich mußte warten, bis der
Auftritt vorüber war; denn es war den Obern nicht erlaubt, zu bedienen, solange
der große Künstler auf der Bühne stand. Fast eine Stunde war vergangen, bevor
ich einen Ober erwischte. »Ich hätte gern mit Gabrielle gesprochen«, sagte ich.
    Er lächelte verständnisvoll.
»Tut mir leid, Sir, aber das ist unmöglich. Sie spricht mit niemandem.«
    »Ich frage mich, was ein
Telegramm an sie kosten würde über den Sonderdienst der Kellnergewerkschaft«,
sagte ich.
    Sein Lächeln wurde noch etwas
freundlicher. »Ein Fünfer würde die Kosten decken, Sir. Aber ich habe noch nie
erlebt, daß jemand jemals eine Antwort darauf bekam, selbst bei bezahlter
Rückantwort.«
    »Das
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