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Wenn die Wahrheit nicht ruht

Wenn die Wahrheit nicht ruht

Titel: Wenn die Wahrheit nicht ruht
Autoren: Anja Berger
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dass Marc befürchtete, die Nachbarn müssten sich gleich allesamt beschweren.
    Als die Kleine nicht antwortete, rief Verena einfach noch lauter. „Leonie!“
    „Schatz, geh ’ sie doch holen, ich rühre derweil weiter.“
    Verärgert knallte Verena den Kochlöffel in die Fonduepfanne und stapfte aus der Küche. „Leonie, warum kommst du nicht, wenn ich dich rufe?“
    Friedlich mit ihrer Puppe spielend sass das Mädchen in ihrem eigenen Zimmer unter dem Fenster. „Leonie, du kommst jetzt sofort und deckst den Tisch.“
    Wortlos stand Leonie auf und tat wie geheissen. Ihre Mutter blieb ratlos im Zimmer zurück. Was hatte die Kleine nur? Beim Abendessen sprach sie die Frage dann laut aus. „Kleines, warum sagst du nichts mehr? Tut dir etwas weh? Ist dir nicht wohl?“
    Anstelle von Leonie antwortete Marc. „Sie spricht doch. Zwar mit ihrer Puppe, aber das ist bestimmt nur eine Phase. M ach ’ dir keine Gedanken , Schatz.“
    Das Thema schien damit beendet, doch nach einer Weile legte Leonie die Gabel hin und sah zu ihren Eltern auf. „Lilli sagte, es wird etwas Schlimmes geschehen.“
    „Wie bitte?“ Verena hielt mitten in der Bewegung inne. Der Käse lief zwischen den Zinken ihrer Gabel hindurch und tropfte auf den Teller. „Was soll de n n passieren?“
    „Das hat sie nicht gesagt.“
    „Und woher weiss sie denn so etwas?“
    „Sie hat es geträumt.“
    „Tatsächlich. Und wann wird es passieren?“
    „In dieser Woche.“
    Obwohl die Heizung auf Hochtouren lief, fröstelte es Verena genauso wie Marc.
    „Herzchen, wie kommst du darauf, dass es diese Woche sein wird?“ , hakte Verena weiter nach.
    „Sie ist ein kleines Kind, d as kannst du nicht ernst nehmen “ , flüsterte ihr Marc ins Ohr. Aber Verena liess sich nicht beirren und wiederholte die Frage.
    „Lilli sagt, überall war Schnee und ein schrecklich lautes Geräusch. Du warst auch da, Mama.“
    „Unfug! Lilli hat das nur geträumt , Schätzchen, du musst also keine Angst haben. Mama hat sich in Lillis Traum vielleicht einen Nagel abgebrochen und laut geschrien, wie sie es immer tut, wenn das passiert. Es ist alles gut. Komm, wir essen weiter. Es wäre doch schade, wenn das Fondue ganz einkochen würde.“
    Für diesen unqualifizierten Kommentar erntete Marc einen zornigen Blick, aber die passenden Worte schluckte Verena, schwer um Beherrschung ringend, hinunter. Wieder an Leonie gewandt , fragte sie stattdessen: „Und was habe ich im Schnee gemacht?“
    „Du hast geweint.“
     
     

2010
     
    „Ihr Wechselgeld. Gute Fahrt!“ Die Kassiererin streckte Leonie fünf Franken entgegen, die sie umgehend in ihrer Brieftasche verschwinden liess. Den Prospekt de s BLS Autoverlad s liess sie im Fach der Fahrertür verschwinden, bevor sie den Gang wieder einlegte und das Gaspedal ihres Cinquecento durchdrückte. Wie sie gehofft hatte, konnte sie sogleich auf den Zug fahren, womit sie im Handumdrehen durch die Alpen hindurch und ihrem Ziel ein ganzes Stück näher war. Um sicherzugehen, dass das Proviantpäckchen noch an Ort und Stelle lag, tastete sie auf dem Beifahrersitz nach der Plastiktasche. Ein seliges Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie das glatte Plastik unter ihren Händen rascheln hörte. Sofort war der Wagen erfüllt vom Knoblauchgeruch , der Leonie das Wasser im Mund zusammenlaufen liess. Diese Knoblauchwurst war eine der wenigen Vorteile, die der kurze Abstecher zu ihrer Mutter brachte . Denn wäre Verena in ihrer ewigen Rastlosigkeit nicht in einem Hotel in Spiez eingekehrt, hätte Leonie nicht den Weg über Kandersteg genommen, um von der Lenzerheide ins Wallis zu gelangen. Also hätte sie auf die umwerfend gute Knoblauchwurst von der auf dem Weg liegenden Raststätte verzichten müssen. Für manche wäre dies ein tragbarer Verlust gewesen, nicht so für Leonie. Sie liebte eine gute Wurstplatte mit Nussbrot, da durfte die Knoblauchwurst nicht fehlen.
    Inzwischen hatte sie das Tal verlassen und hetzte ihr Ovalium, wie sie ihren Cinquecento liebevoll zu nennen pflegte, Kilometer für Kilometer die kurvige Strasse hinauf, ihrem Ziel entgegen.
    Gemäss der Beschreibung, die sie von ihrem neuen Arbeitgeber erhalten hatte, musste sie bereits in Niedergrächen kurz nach einer Bushaltestelle links in eine kleine Strasse abbiegen. Man hatte sie vorgewarnt, dass sich dieser Weg je nach Schneeverhältnissen etwas abenteuerlich gestalten würde, doch damit, was dann kam, hatte sie nicht gerechnet. Bereits beim Einbiegen
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