Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn Die Seele Verletzt Ist

Wenn Die Seele Verletzt Ist

Titel: Wenn Die Seele Verletzt Ist
Autoren: Christiane Sautter
Vom Netzwerk:
traumatische Erlebnisse krank machten. Immerhin war Deutschland eine kriegführende Nation, die einen großen Bedarf an gesunden, starken Soldaten hatte.
    Soldaten galten als Helden, die ihr Vaterland liebten: der Dienst an der Front wurde als Ehre betrachtet. Die Tatsache anzuerkennen, daß diese Art „Vaterlandsliebe“ die Männer schwer krank machte, war ideologisch nicht nur unerwünscht, sondern hätte die Moral der Truppe nachhaltig zersetzt. Aus diesem Grunde galt, daß nur „genetisch minderwertige“ Männer psychische Symptome entwickelten, „weil sie sich feige vor dem Dienst an der Front drücken wollten“. In dieses Weltbild paßte natürlich ebenso wenig, daß sich deutsche Männer sexuell an ihren Kindern vergingen.
    Obwohl also schon Anfang des neunzehnten Jahrhunderts Ärzte den Zusammenhang von sexuellem Mißbrauch und schockartigen Ereignissen und psychischen Symptomen wissenschaftlich bewiesen hatten, wurden diese Ergebnisse in Deutschland aus gesellschaftlichen und politischen Gründen weitgehend verdrängt. Allerdings wurden Frauen anders beurteilt als Männer. Frauen durften nach einem schweren Verlust oder einem Unfall einige Zeit lang schwach sein, doch war die Zeitspanne begrenzt. Nach Ablauf der gesellschaftlich zugebilligten Zeit mußten die Erlebnisse bewältigt sein. Zeigte eine Frau danach noch Symptome, wurde ihr bescheinigt, die Symptome hätten so viele Vorteile für sie, daß dieser „sekundäre Krankheitsgewinn“ die eigentliche Ursache ihrer Befindlichkeit sei. Bekannt geworden ist in diesem Zusammenhang der Begriff „Rentenneurose“. Man bezeichnete damit Menschen, von denen man annahm, sie produzierten nur deshalb psychische Symptome, um frühzeitig aus dem Erwerbsleben auszusteigen. Die Tatsache, daß sich die quälende Symptomatik auch nach Erhalt der Rente hartnäckig hielt, wurde wissenschaftlich nicht weiter ausgewertet.
    In diesem Zusammenhang bedeutsam ist die Militärpsychologie, wobei es wieder gravierende Unterschiede zwischen den Forschungen in den USA und Großbritannien und in Deutschland gibt. Abraham Kardiner, ein Schüler Freuds, der in den USA Veteranen des Ersten Weltkriegs behandelte, brachte deren Kriegserlebnisse in direkten Zusammenhang mit ihren Symptomen. Er versuchte ihnen durch eine psychoanalytische Kur zu helfen, war jedoch mit seinen Ergebnissen so wenig zufrieden, daß er erst 1941 sein Buch „The Traumatic Neurosis of War“ veröffentlichte. Rivers hatte in Großbritannien mehr Erfolg. Er unterzog Soldaten, die psychische Symptome zeigten, einer drei- bis viermonatigen stationären Behandlung. Dabei kombinierte er die Psychoanalyse mit Trancesitzungen, um die Männer im Sinne Janets langsam an die eigentlich traumatische Situation heranzuführen. Durch das emotionale Wiedererleben des Traumas, gepaart mit stützenden Gesprächen, gelang es Rivers, immerhin zwei Drittel der Patienten symptomfrei zu machen. Die meisten wollten danach jedoch nicht mehr zurück an die Front.
    Ganz anders in Deutschland. Während des Ersten Weltkriegs wurden drastische Methoden angewandt, um die Soldaten wieder tauglich zu machen, getreu dem Ausspruch Friedrichs des Großen: „Ein Soldat hat mehr Angst vor seinem Offizier als vor dem Feind.“ In der Psychiatrie wurden Soldaten dementsprechend traktiert. Sie wurden wochenlang in dunklen Räumen isoliert, erhielten keine Nahrung und wurden tagelang in feuchte Packungen gewickelt. Durch Kehlkopfsonden rief man Erstickungsangst hervor und wandte stundenlang schmerzhafte Elektroschocks an. Die Angst der Soldaten vor der Psychiatrie war deshalb sehr schnell größer als die vor der Front, und so kehrten viele „freiwillig“ dorthin zurück. Fast niemand weiß, daß etwa die Hälfte der Psychiatriepatienten während des Ersten Weltkriegs verhungerte.
    Nach dem Ersten Weltkrieg tagte die Gesellschaft deutscher Nervenärzte 1918 in München. Dort stellten die Herren Gaupp und Nonne in ihren Referaten fest, daß es eine traumatische Erkrankung als Kriegsfolge nicht gebe. Der Grund für die psychischen Symptome der Soldaten sei allein die Erwartung von Entschädigungszahlungen, weshalb den Betroffenen jede Unterstützung verwehrt wurde.
    Eine Ausnahme war sicherlich der Psychiater Ernst Simmel, der, ähnlich wie Rivers in Großbritannien, Soldaten mit einer Kombination von Psychoanalyse und Trancesitzungen von ihren Symptomen befreite. Nachdem Hitler an der Macht war, durfte Simmel allerdings nicht mehr arbeiten,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher