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Wenn die Liebe dich findet

Wenn die Liebe dich findet

Titel: Wenn die Liebe dich findet
Autoren: Johanna Lindsey
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Gelächter, dann Stimmen – so leise, dass er nicht verstehen konnte, was geredet wurde. Er hielt sein Ohr nicht an die Tür, sondern setzte sich einfach nur auf den Boden und wartete.
    Er wartete sehr lange. Beinahe wäre er eingeschlafen. Doch endlich ging die Tür auf. Er sprang hoch, damit man nicht über ihn stolperte. Den Mann hatte er noch nie aus der Nähe gesehen. Er war größer, als er gedacht hatte, attraktiv, gut gekleidet, das Haar so dunkel wie sein eigenes. Den Überzieher hatte er sich über einen Arm geworfen, ein juwelenbesetzter Ring blitzte an seiner Hand auf.
    Der Junge platzte sofort mit seiner Frage heraus, bevor er vollends die Nerven verlor: »Sind Sie mein Vater?«
    Der Mann, der ihn zuerst gar nicht bemerkt hatte, blickte missmutig auf ihn hinunter. »Solltest du nicht im Bett sein? Los, verschwinde!«
    Er war so erschrocken über den harschen Ton, dass er sich nicht bewegen konnte, aber der Mann eilte schnellen Schrittes den Korridor entlang und verschwand. Die Tür zum Zimmer seiner Mutter stand noch immer offen. Der Junge blickte hinein, um zu sehen, ob mit ihr alles in Ordnung war. Sie saß an ihrem Schminktisch, um den Hals eine Kette, die er noch nie zuvor an ihr gesehen hatte.
    Der Junge eilte zurück in sein Zimmer, verwirrt und verängstigt. Er hoffte, dass der Mann seiner Mutter nicht von der Frage erzählen würde, die er ihm gestellt hatte – und auf die er keine Antwort erhalten hatte.
    Einige Tage später in dieser Woche rief seine Mutter ihn nach unten in die Diele. In der Eingangstür stand ein Mann, den er noch nie gesehen hatte. Er hielt einen Hut in der Hand, hatte blonde Haare und blaue Augen, genau wie die Mutter des Jungen. Sie wirkte wütend. Auf ihn? Oder auf den Fremden, den sie so verärgert anstarrte?
    Sie sah zu ihrem Sohn herab und sagte: »Das ist dein Onkel Donald, mein Bruder. Wir hatten einige Jahre keinen Kontakt … Donald hätte es gern, dass du für einige Zeit bei ihm auf seinem Gestüt draußen auf dem Land wohnst. Du wirst sehen, es wird dir gefallen.«
    Die Augen des Jungen weiteten sich. Er hatte nicht gewusst, dass seine Mutter einen Bruder hatte! Ihn überkam die größte Angst, die er in seinem Leben je verspürt hatte. Er drehte sich um und klammerte sich fest an seine Mutter. Sie wollte ihn wegschicken? Er konnte es nicht begreifen.
    »Nein, bitte nicht!«, schluchzte er. »Ich werde auch nie wieder Fragen stellen, das verspreche ich!«
    Sie drückte ihn fest an sich.
    »Schhht, Liebling, ganz ruhig, ich komme dich auch bald besuchen. Du wirst so viel Spaß auf dem Land haben, dass du mich gar nicht vermissen wirst.«
    »Nein! Ich will hier bei dir bleiben!«
    Sie schob ihn zu seinem Onkel hinüber. »Los, bevor ich anfange zu weinen!«, rief sie verzweifelt aus.
    Und so wurde der schreiende Junge aus dem einzigen Heim gezerrt, das er jemals gehabt hatte. Er versuchte, sich aus der wartenden Kutsche zu befreien. Da sein Onkel ihn davon abhielt, hängte er sich aus dem Fenster und rief nach seiner Mutter, die Tränen liefen seine Wangen hinab. Er sah, wie sie auf der Veranda stand und ihm nachwinkte.
    Aber seine Mutter sollte recht behalten. Auch wenn er sie anfangs schrecklich vermisste, fand er im Laufe der Monate doch Gefallen an dem Leben bei seinem Onkel und seiner Tante auf ihrem großen Landgut in Lancashire. Wegen des kleinen Welpen, den sie ihm geschenkt hatten, und der vielen anderen Hunde, die überall auf dem großen Anwesen herumtollten. Weil er zum ersten Mal im Leben einen richtigen Freund gefunden hatte – den Sohn eines der Landarbeiter – und sie unzertrennlich geworden waren. Weil es hier so viel mehr zu tun gab als in der Stadt. Aber vor allem wegen der Pferde. Es waren so viele! Man erlaubte ihm, bei der Pflege zu helfen. Schon bald beherrschte er es hervorragend, sie zu striegeln und zu füttern, und er durfte sogar bei der Ausbildung der Jungpferde behilflich sein.
    Seine Mutter sah er nie wieder. Zumindest nicht lebend. An dem Tag, an dem sein Onkel und seine Tante ihm mitteilten, sie wäre an einer Lungenentzündung gestorben, kam all der Schmerz des Verlassenseins wieder in ihm hoch. In diesem Jahr stand sein achter Geburtstag bevor, und er war noch zu jung, um zu wissen, wie man die Tränen zurückhält, die ihm seine Wangen hinunterliefen.
    »Sie wollte, dass du das hier bekommst.«
    Er blickte hinab auf das Porzellanpferdchen, das Donald in seine Hand gelegt hatte. Seine Mutter hatte ihm ihre Liebe entzogen,
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