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Wenn der Christbaum brennt - und andere heitere Weihnachtskatastrophen

Wenn der Christbaum brennt - und andere heitere Weihnachtskatastrophen

Titel: Wenn der Christbaum brennt - und andere heitere Weihnachtskatastrophen
Autoren: Brigitte Sinhuber (Hrsg)
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schickte jeder von uns drei Dutzend rote Rosen, meiner Schätzung nach den gesamten Vorrat der beiden Garmischer Blumenhandlungen.
    Es war das übliche Hotel-Weihnachten, mit elektrisch beleuchteten Tannen in den Gesellschaftsräumen und Gala-Diner.
    Justus hatte sich auf dem Schneeferner einen Sonnenbrand geholt und war in wehleidiger Stimmung. Oder das Christbaumgeglitzer machte ihn sentimental.
    Jedenfalls trank er sehr viel Champagner. An den Austern aber kaute er herum, als wären sie in seiner Fabrik aus Gußstahl hergestellt worden. Die Tournedos Dauphinoise rührte er nicht an.
    Er spielte mit dem blanken Besteck und stieß einen tiefen Seufzer aus.
    »Was ist?« fragte ich mit größter Liebenswürdigkeit, obwohl mir nicht danach war, denn schließlich hatte er mich von weißen Orchideen auf rote Rosen, noch dazu im Duplikat, absinken lassen. »Wo tut es weh? Auf den Schultern, den Armen? Im Herzen? Sehnsucht nach Köln?«
    »Mir fehlt nicht das Geringste«, erwiderte er düster. Er ließ eine neue Flasche Bollinger bringen, was richtig war, denn die erste hatte er ohnehin beinahe allein geleert.
    Als die dritte Flasche auf dem Tisch stand, und ehe noch das Dessert serviert war, erhob er sich. »Entschuldigen Sie, ich will daheim anrufen und ein frohes Fest wünschen.« Er verschwand. Das Engelchen hatte glitzernde Augen, nicht vom Sekt, sondern als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.
    »Wen hat er daheim?« fragte ich.
    »Seine Eltern?«
    »Zwei Brüder. Die Eltern sind tot.«
    »Rede dir jetzt bloß nicht ein, daß er ein verlassenes Waisenkind ist, das hungernd durch den Schnee irrt. Er ist sechsunddreißig Jahre, und es ist seine eigene Sache, wenn er keine Tournedos will.«
    Ich hätte genausogut zum Tischtuch sprechen können. Das Engelchen nickte und war mit seinen Gedanken offensichtlich ganz woanders. Vielleicht in der Telefonzelle. Auch ich fragte mich im stillen, ob Justus mit den Brüdern sprach oder mit jemand anderem. Es war eigentlich anzunehmen, daß er in Köln eine Freundin hatte.
    »Wie stehst du mit ihm?«
    »Ich bin in ihn verliebt«, sagte das Engelchen. »Hast du das noch nicht bemerkt?«
    Sie blinzelte, um die Tränen zurückzuhalten.
    »Und er?«
    »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Das ist es eben. Ich weiß nicht, wie ich mit ihm dran bin.«
    »Bis Silvester kann noch eine Menge geschehen.«
    »Du irrst dich«, sagte das Engelchen. »Ich spür‘ genau, ich hab‘ nicht mehr viel Zeit!«
    Sie wischte sich mit den Fingerspitzen die feuchten Lider ab.
    »Du mußt dich zurechtmachen«, sagte ich. »Die Wimperntusche ist verschmiert.« Sie stand gehorsam auf und ging.
    Als Justus zurückkam, war ich noch allein. Er benutzte die Gelegenheit, um mir mitzuteilen, daß er mir für meinen ferneren Lebensweg alles Gute wünsche. »Wer immer Sie morgen in Berlin erwartet, ist ein beneidenswerter Mann.«
    »Ich fahre erst übermorgen«, korrigierte ich.
    »Ich hoffe, Sie werden mit ihm weiterhin glücklich sein!« sagte er.
    Es war ein höchst ungemütlicher Heiliger Abend. Das Engelchen rauschte frisch bemalt heran, sie hatte zwei winzige, nadelscharfe Fältchen neben den Mundwinkeln, und plötzlich erinnerte ich mich an ihr unschuldiges Kindergesicht, an den kleinen anbetenden Hirten mit Krummstab und Rauschebart.
    Ich war an diesem Abend früh zu Bett gegangen. Am nächsten Vormittag, als ich Koffer packte, fiel mir ein, daß ich Angela einen Schal geborgt hatte.
    Ich ging zu ihr hinüber, sie kam gerade aus dem Bad, bloßfüßig, in einen weißen Frotteemantel eingewickelt.
    »Dein Schal? Ich glaube, er liegt im obersten Schubfach.« Sie ließ den Bademantel fallen und betrachtete sich in dem großen Schrankspiegel.
    »Für sechsundzwanzig Jahre eigentlich ganz nett«, sagte sie. »Findest du nicht auch?«
    Noch nie hatte sie sich vor mir nackt gezeigt.
    Sie schritt ungeniert durchs Zimmer, holte einen seidenen Morgenrock vom Haken und schlüpfte hinein.
    »Justus«, sagte sie, »hat mir einen Heiratsantrag gemacht.«
    »Wann?« fragte ich verblüfft.
    Das Engelchen sagte schlicht: »Wie soll ich das wissen. Es war finster im Zimmer. Ich nehme an, es wird gegen vier oder fünf Uhr morgens gewesen sein.«
    Ich konnte bloß die Augen aufreißen, was Angela mißverstand.
    »Wahrscheinlich hältst du mich für berechnend! Aber für eine Frau in meinem Alter ist er der reinste Märchenprinz. Außerdem: auch er war einsam. Es hat sich alles beinahe von selbst ergeben!«
    Sie hatten gestern
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