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Wenn alle anderen schlafen

Wenn alle anderen schlafen

Titel: Wenn alle anderen schlafen
Autoren: Marcia Muller
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bin nicht so mutig, wie ich
tue.
    Ich habe Menschen verletzt, die
mir wichtig sind.
    Ich habe Menschen getötet, Gott
gespielt.
    Die Liste setzt sich fort,
spult sich dann in einer Endlosschleife wieder von vorn ab, während ich auf das
Ende der Nacht warte. Ich fühle mich bedroht, aber nicht von etwas Äußerem.
    In diesen Stunden, wenn alle
anderen schlafen, kommt die Bedrohung immer von innen.

Mittwoch nacht
     
    Um 23 Uhr 37 war es im Innenhof
von Pier 245 bis auf ein paar schlecht plazierte Sicherheitsleuchten
stockdunkel. Die Luft war feuchtkalt, roch nach Salz und Kreosotbüschen. Regen
drosch auf das Flachdach, und direkt darüber, auf der Bay-Bridge zwischen San
Francisco und Oakland, mahlte ein LKW-Getriebe. Fehlzündungen eines anderen
Fahrzeugs knallten wie Schüsse.
    Ich blieb auf dem eisernen
Laufsteg vor meinem Büro stehen und horchte. Meine Sinne waren geschärft, wie
immer, wenn ich nachts noch allein hier arbeitete. Die Sicherheitsvorkehrungen
des alten Piergebäudes waren leicht zu überlisten, es gab eine Menge Verstecke
für einen möglichen Eindringling, und die alte Hafengegend war, obwohl sie
derzeit eine Renaissance erlebte, noch immer potentiell gefährlich. Wenn die
entsprechenden Umstände zusammenkamen, konnten die meisten Orte in dieser Stadt
gefährlich sein.
    Auf den Eisenstegen zu den
gegenüberliegenden Büroetagen war niemand zu sehen; nirgendwo drang Licht durch
die Türritzen. Die Eisenkonstruktionen warfen komplizierte Schattenmuster auf
den Zementboden des Hofs, wo wir Mieter unsere Autos parkten. Ich ging weiter,
den Steg entlang, zum Büro von Ted Smalley, unserem tüchtigen und zuweilen
etwas diktatorischen Faktotum, der sowohl meine Detektei als auch das
Anwaltsbüro Altman&Zahn reibungslos am Laufen hält. Meine Schritte hallten
von der hohen Decke und den freiliegenden Balken wider.
    Ein jäher Luftzug; etwas flog
mir an den Kopf. Reflexhaft riß ich einen Arm hoch; meine Finger streiften
dünne Haut und feine Knochen.
    Großer Gott, eine Fledermaus!
    Mit hämmerndem Herzen rannte
ich in Teds Büro, knallte die Tür hinter mir zu und lehnte mich dagegen, die
Akten, die ich bei mir hatte, an die Brust gepreßt.
    »McCone«, sagte ich laut und
keuchend, »du hast bewaffnete Verbrecher gestellt, ohne mit der Wimper zu
zucken. Warum zum Teufel flüchtest du vor einer kleinen Fledermaus, die sich
vermutlich längst irgendwo ins Gebälk verzogen hat?«
    Natürlich kannte ich die
Antwort: Die Begegnung mit der Fledermaus hatte an meine alte Vogelphobie
gerührt — eine Angst, die ich längst überwunden geglaubt hatte. Falsch,
jedenfalls dann, wenn ich ohnehin schon latent deprimiert und nervös war —
Folge des feuchten, stürmischen Wetters, das seit dem Tag nach Weihnachten so
gut wie ununterbrochen herrschte.
    Auf Teds Schreibtisch brannte
eine schwache Lampe. Ich nutzte ihr Schummerlicht, um einen Zettel zu
schreiben. Ich steckte ihn unter das Gummiband, das die Akten zusammenhielt.
Die Ordner enthielten die Bewerbungsunterlagen dreier Jobkandidatinnen, die ich
kürzlich zu einem Vorstellungsgespräch hier gehabt hatte, nebst zugehörigen
Background-Checks und Absageschreiben. Zwei Bewerberinnen hatten mir sehr gut
gefallen, und auf dem Zettel stand, daß Ted die Unterlagen doch bitte für
zukünftige Einstellungen parathalten möge, doch Anfang letzter Woche war mein
alter Freund Craig Morland endlich auf mein Jobangebot vom Dezember
zurückgekommen. Craig, ein Ex-FBI-Agent, war genau der Mann, den das
Ermittlungsbüro McCone brauchte; seine Verbindungen aus über fünfzehn Jahren
FBI-Dienst hatten sich bereits als unschätzbar wertvoll erwiesen. Wieder
draußen auf dem Steg, marschierte ich furchtlos in Richtung Treppe. Ich ließ
mich nicht von einer albernen Fledermaus einschüchtern.
    »Hey!«
    Ich erstarrte am oberen Ende
der Treppe, versuchte die Quelle des Zurufs auszumachen, duckte mich dann
blitzartig hinter das Geländer und spähte hindurch.
    »Hey, Sharon, warum verstecken
Sie sich vor mir?«
    Ich atmete langsam wieder aus,
als ich den australischen Akzent von Glenna Stanleigh erkannte, der
Dokumentarfilmerin, die die Parterreräume neben der Einfahrt gemietet hatte.
Verlegen und wütend zugleich, richtete ich mich auf.
    »Herrgott, Glenna! Ich wär vor
Angst fast tot umgefallen.«
    »Ach, Sie doch nicht.« Sie trat
hinter ihrem Ford Bronco hervor — eine zierliche Frau mit langen, hellbraunen
Locken und riesigen braunen Augen. »Okay, tut mir leid. War
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