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Wenn alle anderen schlafen

Wenn alle anderen schlafen

Titel: Wenn alle anderen schlafen
Autoren: Marcia Muller
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habe ich es vergessen, und als es
mir wieder einfiel und ich auf ihn zugehen wollte, hat er mich abfahren
lassen.«
    »Genau solche Sachen sind mir
auch aufgefallen. Ich habe ihn gefragt, was los ist, und er bestreitet, daß
irgendwas ist. Aber da ist was: Immer wenn wir miteinander reden, scheint er
mit den Gedanken woanders. Und er hat sich angewöhnt, mich ohne konkreten Grund
im Laden anzurufen — vier-, fünfmal am Tag. Und oft ist er nicht dort, wo er um
eine bestimmte Zeit angeblich sein wollte.«
    Ich ließ die Möglichkeiten
Revue passieren. »Glaubst du, daß er dich betrügt? Oder daß er glaubt, du
betrügst ihn?«
    »Nein. So was würde er offen
sagen. Das gehört zum Wesen unserer Beziehung.«
    »Und Drogen? Wenn jemand so
reizbar ist wie Ted, muß man die Möglichkeit in Betracht ziehen.«
    »Ich habe die Möglichkeit in
Betracht gezogen und auch andere gesundheitliche Probleme.«
    Wir schwiegen beide, und unsere
Blicke trafen sich. Zwischen uns hing das Unaussprechliche: Aids.
    »Nein«, sagte Neal nach einer
kurzen Pause. »Das können wir streichen. Er hätte es mir sofort gesagt, damit
ich den Test machen lassen kann.«
    Ja, das hätte er. Nichts
erboste Ted so sehr wie Aidsinfizierte, die wissentlich andere gefährdeten.
»Tja, vielleicht ist es ja nur... so eine komische Phase.«
    »Das würde ich ja gern glauben,
aber ich kann’s nicht.« Er zögerte. »Was ich mir überlegt habe, Shar...
könntest du dem nicht mal nachgehen, inoffiziell?«
    »Ich soll Ted
hinterherspionieren?« Das schien mir eine extreme Reaktion auf etwas, was
letztlich doch ein rein persönliches Problem war.
    »Nicht direkt, aber du könntest
ihn im Auge behalten, mit ihm zu reden versuchen. Du weißt, worauf du achten,
was du fragen mußt.«
    »Ich weiß nicht, Neal. Ted hat
mich viele Jahre bei der Arbeit erlebt. Er kennt meine Taktiken. Er könnte
merken, was ich da tue, und das wäre eine schwere Belastung für unsere
Freundschaft.« Neal fuhr sich durchs widerspenstige Haar. »Ich verstehe ja, was
du meinst, aber... Okay, da ist noch was. Ted ist nicht nur reizbar und
seltsam. Er hat Angst.«
    »Angst?«
    »Ja, das spüre ich. Manchmal
wache ich nachts auf und... Du weißt doch, wie man manchmal im Dunkeln daliegt
und weiß, der andere ist wach, obwohl er ganz gleichmäßig atmet?«
    »Hm.«
    »Na ja, es ist fast jede Nacht
so: Ich wache auf und merke, daß Ted auch wach ist. Aber wenn ich was sage,
stellt er sich schlafend. Er denkt nach, grübelt, und da ist so eine greifbare
Angst im Raum.«
    Ich schwieg und dachte an die
Situationen, in denen auch ich diese Art Angst in einem dunklen Zimmer gespürt
hatte.
    »Ist Ted in letzter Zeit
irgendwas Außergewöhnliches widerfahren, was die Angst erklären könnte?« fragte
ich.
    »Nicht, daß ich wüßte. Bislang
war unser Zusammenleben eher ruhig und ereignislos — was ja nicht unbedingt
schlecht ist. Wenn man mal über vierzig ist, lernt man ein Leben schätzen, in
dem das aufregendste Ereignis darin besteht, daß jemand bei Rot über die Ampel
rast und einen fast auf dem Fußgängerübergang umnietet.«
    »Ted wäre fast überfahren
worden?«
    »Nein, ich. Letzte Woche, als
ich vom Laden zum Parkhaus rübergehen wollte. War nichts Besonderes; ist
sowieso ein Wunder, daß die Polk Street nicht jeden Tag mit verstümmelten
Fußgängern übersät ist. Also, was ist, Shar — guckst du mal, was du rausfinden
kannst?«
    Ich überlegte. Die
Verhaltenweisen, die Neal beschrieb und die ich selbst beobachtet hatte, waren
schon ungewöhnlich für jemanden, den ich immer als einen der verläßlichsten und
ausgeglichensten Menschen gekannt hatte. Und Ted war nicht nur ein
Angestellter, sondern auch ein Freund; was immer mit ihm los war, ich wollte
für ihn dasein. Notfalls auch gegen seinen Willen.
    »Okay«, sagte ich, »was ich tun
kann, ist, ihn ein, zwei Tage genauer zu beobachten. Wenn ich dann immer noch
keine Ahnung habe, was mit ihm los ist, muß ich ihn vielleicht observieren.«
    »Da ist noch was...« Neal
zögerte.
    »Ja?«
    »Ich... ich habe schon mal in
seinen Sachen rumgestöbert, vor allem nach Hinweisen auf irgendeine Art von Drogenkonsum,
aber dabei ist mir klargeworden, daß ich gar nicht weiß, wonach ich suchen
soll. Könntest du’s noch mal tun?«
    »Eure Wohnung durchsuchen?«
    »Ja.«
    Jetzt zögerte ich. In Teds
persönlichen Dingen herumzuschnüffeln schien mir denn doch zu weit zu gehen.
Aber dann sah ich Neals besorgtes Gesicht, und eine Geschichte
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