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Wenn alle anderen schlafen

Wenn alle anderen schlafen

Titel: Wenn alle anderen schlafen
Autoren: Marcia Muller
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so
wie die Citabria fürs Fliegen gemacht ist. Jetzt wieder Gas geben und slippen.«
    »Slippen?«
    »Diese Maschine hat keine
Klappen; slippen erfüllt dieselbe Funktion.«
    »Okay.«
    Wenn man selbst fliegt, scheint
der Landevorgang ewig zu dauern, aber wenn man besorgt zuguckt, geht alles blitzschnell.
Es schien nur eine Sekunde zu dauern, bis ich sagte: »Jetzt in den Queranflug
drehen, Lee.«
    »Drehe in den... O Gott, dieser
Wind. Der weht mich glatt aus dem Schema.«
    »Wieder gegensteuern.« Ich
beobachtete die Positionslichter. Die Maschine ging in die Kurve und parierte
den Wind. »Also, kümmern Sie sich nicht um irgendwelchen sonstigen Flugverkehr,
Lee. Schauen Sie einfach nur auf die Bahn. Jetzt in den Endanflug drehen.«
    »Zwo-acht-neun, drehe in den
Endanflug.«
    »Okay, bringen wir sie runter.«
     
    »Geschwindigkeit sieht gut aus,
Lee. Bug halten, wie er ist. Gerade halten. So ist’s gut. Jetzt ganz leicht
linkes Querruder geben. Nicht zu viel... gut!«
    Fliegerisch ist sie wirklich
begabt. Schade — nach diesem Fiasko wird sie nie mehr fliegen.
    »Jetzt auf die Landebahn
schauen. Gucken Sie auf die Nummer zwo-neun. Die Zahlen müssen genau an der
Stelle der Frontscheibe bleiben, wo sie jetzt sind. Das sind ja alles olle
Kamellen für Sie; Sie wissen ja, wie das geht. Noch etwas linkes Querruder.
Genau!« Mit der Unterschlagung ist sie ungeschoren davongekommen, aber für
diesen Flugzeugdiebstahl wird sie büßen.
    »Gleitweg sieht prima aus.
Alles sieht prima aus. Sie sind so gut wie unten.«
    Sie muß merken, daß sie nicht
durchs Leben spazieren und Leuten Schaden zufügen kann, ohne die Verantwortung
dafür zu übernehmen.
    »Abfangen jetzt. Blick aufs
Rollbahnende. Fühlen Sie die Sinkbewegung. Fühlen Sie’s.«
    Und jetzt der schwierige Teil.
Bringt sie eine Dreipunktlandung hin ?
    »Okay, leicht anziehen. Ja, gut
— leicht anziehen und halten. Halten...«
    Die Citabria setzte auf — hart,
aber immerhin.
    »Gerade halten, Lee!«
    Verdammt, sie verliert die
Nerven !
    »Nicht aufhören zu steuern!
Gerade halten!«
    Die Maschine drehte weg.
     
    »Nein, nicht!« Ich ließ das
Mikro fallen und rannte zur Tür.
    Die Maschine schlidderte mit
fast sechzig Meilen seitwärts die Landebahn entlang. Mit quietschenden Reifen
drehte sie sich weiter und kippte auf ein Rad. Ich schnappte nach Luft, roch
brennenden Gummi. Hörte Metall bersten, als das Fahrwerk nachgab und in einem
verrückten Winkel wegknickte. Die Maschine pflügte in Richtung Rollbahnbankett,
dann ein gräßliches, lautes Knirschen — die Tragfläche, die sich in den Boden
rammte. Dann eine Millisekunde Stille, ehe Feuerwehr und Krankenwagen zur
Unfallstelle sausten.
    Es war so schnell gegangen,
aber mehr braucht es nicht für eine Katastrophe als einen winzigen Moment der
Unachtsamkeit, des Leichtsinns oder, in diesem Fall, des Umschlags von
Überheblichkeit in nackte Angst.
    Hände auf meinen Schultern. Sie
hielten mich fest, als wollte ich losstürzen. Sonny. »Überlassen Sie’s denen«,
sagte er.
    Ich sah ihn an, nickte, die
Lippen aufeinandergepreßt.
    »Sie hat kein Feuer gefangen«,
setzte er hinzu. »Ein Segen.«
    Ein Segen? Schon. Aber ein
schwacher Trost.
    »Stehen Sie’s durch, McCone?«
    Ich nickte wieder, durch und
durch betäubt.
    »Gut. Ich muß die Flugbehörde
anrufen. Hoffe, sie können bald hier rauskommen und sich die Sache angucken.«
Er ließ mich los und trottete zum Terminalgebäude zurück.
    Business as usual. Warum auch nicht? Er war nicht
persönlich betroffen und hatte außerdem einen Flugplatz zu managen.
    Ich blieb stehen, sah den
Sanitätern und Feuerwehrleuten zu. Sie stemmten die Tür auf, und ein Sanitäter
kletterte hinauf und beugte sich in die Maschine. Er rief etwas, und der andere
rannte zum Krankenwagen, kam gleich darauf wieder zurück. Als ich mich in
Bewegung setzte, sah er mich und rief: »Sie lebt. Wir haben den
Rettungshubschrauber gerufen, damit er sie nach Fort Bragg bringt, in die Traumaabteilung.«
    Ich winkte, nickte, fühlte gar
nichts. Keine Erleichterung, weil sie nicht tot war. Keine Wut, jedenfalls im
Moment. Da war gar nichts, nur Trauer wegen des Wracks neben der Rollbahn. Und
weil ich darum betrogen worden war, sie zur Rede zu stellen.
    Ich war darum betrogen worden,
beweisen zu können, wer von uns die bessere McCone war.
     
     
     

Später
am Sonntag morgen
     
    Komisch, dachte ich, wie die
zerknautschte Silhouette der Citabria jetzt in der Vormittagssonne aussieht.
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