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Weniger sind mehr

Titel: Weniger sind mehr
Autoren: Karl-Otto Hondrich
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dem Aufdruck »Unser Erstes«.
    Was das Lästermaul mit dem untrüglichen Gespür für hohle Töne damit ad absurdum führt, ist eine Diskussion unter ideologischen Vorzeichen, in der das Phänomen der Spätgebärenden dazu missbraucht wird, den Anteil der dauerhaft Kinderlosen zu dramatisieren. Zunächst verbreitete sich die Zahl von 40 Prozent wie ein Lauffeuer: »Die Deutschen, zumal die gebildeten, sterben aus!« Dann allerdings stellten einschlägige Forscher fest, dass die Zahl auf gravierenden Mängeln der amtlichen Geburtenstatistik beruht. 3 Nimmt man dagegen Lebenslaufdaten, in denen unter anderem berücksichtigt wird, dass Mütter immer älter werden – bedingt durch längere Ausbildungszeiten –, zeigt sich, dass nur 20 bis 25 Prozent der Akademikerinnen ihr Leben lang kinderlos bleiben.
    Genüsslich breitet
single-generation.de
, die forsche Interessenvertretung der jungen Alleinlebenden, die Differenzen zwischen diesen Daten aus. In der Hoffnung, dass sich das »Deutungsmonopol der deutschen Demografen endlich zerschlägt« 4 , kontert die junge Internet-Zeitschrift die klammheimliche Politisierung mit einer erfrischend-offenen Gegenpolitisierung: Es sollen nicht die Singles für alle Übel und Belastungen der neuen Zeit herhalten. Dass die Kinderlosen zunächst auf Kosten der Familie leben, um dann später als einsame Wölfe beziehungslos zu sterben, ist ein anderes falsches Vorurteil über die »Gesellschaft ohne Kinder«. Auch kinderlose Menschen haben Familie, und zwar in der Regel bis ins Alter. Familie ist nicht nur die selbst gegründete, sondern auch die herkunftsbezogene, in die man hineingeboren wird; sie umfasst nicht nur geborene, sondern auch gewählte Bindungen. Zur realen Familie gehören alle, die von der Familie als zugehörig angesehen werden; so ist die reale Familie in der Regel größer als die statistische, bestehend aus Eltern und Kindern.
    |21| Die Familie – ein Auslaufmodell ?
    Tatsächlich werden weniger neue Familien gegründet. Frauen und insbesondere Männer heiraten seltener und später. Sie leben häufiger allein; deshalb steigt die Zahl der Haushalte. Die Zahl der Familien dagegen wird geringer, aber erstaunlicherweise werden die Familien im Urteil ihrer Mitglieder nicht kleiner, sondern größer, denn Verwandte und Wahlverwandte werden oft dazugerechnet. Gerade Geschiedene greifen, Rat und Hilfe suchend, auf ihre Herkunftsfamilie zurück oder gründen eine neue Familie. Auch wenn Wahlfamilien zerbrechen, heißt das nicht, dass die einzelne Familie kleiner wird. Wohl aber nimmt, wenn Männer und Frauen weniger Kinder bekommen, die Zahl der Familien insgesamt ab. Nur insofern kann man sagen, dass »die« Familie als kollektives Subsystem einer ganzen Gesellschaft schrumpft.
    Doch unerheblich, ob nur die Zahl der Familien insgesamt oder die Zahl der Mitglieder in jeder einzelnen Familie schrumpft: Weniger Quantität bedeutet mehr Qualität.
    Wenn zunehmend mehr (wenn auch noch insgesamt wenige) jüngere Leute meinen, auch ohne Familie glücklich werden zu können; wenn ihnen – paradoxerweise von Befürwortern aktiver Geburtenpolitik – vorgerechnet wird, dass ein Kind im Laufe seines Lebens 300 000 Euro oder mehr kostet; wenn ihnen klar wird, was ihnen an guten Gelegenheiten und Chancen entgeht, wenn sie Familienvater oder -mutter werden; wenn ihnen sogar das individualistische Liebesideal suggeriert, immer länger auf »den Richtigen« oder »die Richtige« zu warten (bis es zu spät ist); da zeichnen sich diejenigen, die trotz aller Hürden den Sprung in die Familiengründung wagen, durch eine besondere Qualität aus: Sie sind zwar nicht die besseren Menschen, aber die besseren Familienmenschen. Und ihre Kinder sind zwar nicht die besseren Kinder, aber sie wachsen in besseren Verhältnissen auf als die Kinder, die aus reiner Gewohnheit, gegen die nicht-familialen Chancen und Interessen der Eltern oder wegen des Kindergeldes |22| und anderer Subventionen geboren worden wären. Weniger Kinder, in die viel Liebe, Bildung, elterliches Wollen investiert werden, sind eben mehr als viele Kinder, die ihren Eltern in ärmlichen Verhältnissen oder wegen derer weiter gespannten – durchaus ehrenwerten – Interessen zur Last fallen.
    Die kinderlose Gesellschaft als Schreckensvision der Zukunft wird es nicht geben. Wohl aber eine Gesellschaft mit weniger Kindern als bisher. Das ist ein Schlag gegen die Gewohnheiten, mit denen wir, unsere Eltern und Großeltern aufgewachsen
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