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Wendland & Adrian 03 - Nachtauge

Wendland & Adrian 03 - Nachtauge

Titel: Wendland & Adrian 03 - Nachtauge
Autoren: Thomas Görden
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sinnliches Vergnügen. Konnte das das ganze Leben so bleiben, auch noch in fünfzig Jahren, wenn sie beide alt und schrumpelig sein würden? Gegenwärtig schien es ihm so. Jedenfalls gab es in ihrer Beziehung bislang keinerlei Anzeichen von Langeweile oder Ermüdung. Vielleicht war er einfach innerlich offener geworden für das Naturereignis, das sich ihm in Chris’ Körper jeden Tag offenbarte.
    Er zog sich an, ging in die Küche, schaltete das Radio ein, in dem gerade ein BAP-Song lief, und deckte, während er die kölschen Verse des Songs leise mitsang, den Frühstückstisch. Er setzte heißes Wasser auf und stellte all die Dinge auf den Tisch, die Chris am Morgen gern aß. Er selbst war kein ausgeprägter Morgenesser, ihm genügten etwas Toast und Kaffee.
    Im Grunde hatte er Chris damals verlassen, weil er eifersüchtig gewesen war auf ihren Schamanismus, darauf, dass ihm dieser Teil ihres Wesens verschlossen blieb. Er hatte sie ganz besitzen wollen und als er merkte, dass das nicht funktionierte, war er davongelaufen, schmollend. Aber es hatte ihm gut getan. Er hatte Chris vom ersten Tag an vermisst. Und notgedrungen hatte er damit begonnen, die vielen Schubladen in seinem Kopf zu entrümpeln. Nein, er hatte sich damit nicht begnügt, er hatte gleich die Schubladen mit hinausgeschmissen. Er war erschrocken gewesen, wie viel kleinkariertes, enges Dorfdenken er noch in sich vorgefunden hatte, vermutlich das genetische Erbe einer langen Ahnengalerie einfacher Eifeler Landbevölkerung. Dabei hatte er immer viel gelesen, Literatur regelrecht verschlungen. Von Dostojewski bis Böll. Bevor er sich in die Eifel zurückversetzen ließ, hatte er in Köln bei der Mordkommission gearbeitet und er hatte gehofft in der Weltliteratur Antworten darauf zu finden, warum Menschen sich gegenseitig umbrachten, aber es war ihm nicht gelungen.
    Als nun seine Beziehung zu Chris so schmerzlich gescheitert war, mit der er immerhin Momente erlebt hatte, die wie der Himmel auf Erden gewesen waren, hatte er seine Nase wieder intensiv in Bücher gesteckt, um zu verstehen. Diesmal hatte er stapelweise Bücher über Schamanismus und dergleichen verschlungen, das ganze Esoterikregal seiner Kölner Stammbuchhandlung herauf und herunter, bis ihm schließlich der Kopf geschwirrt hatte vor lauter Chakren, Krafttieren, Geisthelfern und Auras. Irgendwann hatte er das letzte dieser Bücher mit einem Seufzer in die Ecke geworfen.
    Bei allem Interesse an philosophischen Höhenflügen und aufregend abartigen Spekulationen brauchte er doch eine gewisse Eifeler Bodenständigkeit, um sich wohl zu fühlen: das sichere Gefühl, dass ein Tisch einfach nur ein Tisch war und kein spiritueller Energiewirbel und ein Baum einfach nur ein Baum. Andererseits: Was war an einem so komplexen Gebilde wie einem Baum einfach? Über solche Fragen philosophierte Jonas gerne beim Angeln.
    Beim Angeln geschah es eines Nachmittags dann auch, dass Jonas das einzige spirituelle Gesetz entdeckte, das für ihn absolute Gültigkeit besaß: Er liebte Chris wahnsinnig. Vermutlich war das seine spirituelle Herausforderung. Es war nicht immer leicht, mit ihr zu leben, aber es machte ihn glücklich, so weit Menschen in dieser Welt mit sich selbst und miteinander glücklich sein konnten. Noch am selben Abend hatte er diese Erkenntnis in die Tat umgesetzt und war zu ihr zurückgekehrt – mit frischen Forellen als Versöhnungsgeschenk, die sie dann gemeinsam gebraten hatten.
    Er steckte das von ihm selbst gebackene Toastbrot, auf das er stolz war, in den Toaster und lauschte dem Arbeitsgeräusch der Kaffeemaschine. Dann goss er dampfendes Wasser auf die Blätter von Chris’ Kräuterteemischung.
    Seither blieb er bei ihr und liebte sie ganz und gar. Auch das, was ihm an ihr fremd war und was er nicht verstand. Wenn er es nicht verstand, dann konnte er zumindest versuchen daraus zu lernen. Äußerlich hatte die Chris, zu der er nach seinen einsamen Monaten zurückgekehrt war, sich verändert. Auch vor ihrer Trennung war sie schon molliger als zu Beginn ihrer Beziehung gewesen, doch inzwischen war sie ziemlich dick geworden und er musste ihren Körper ganz neu entdecken. Aber er hatte sich dieser Herausforderung mit Entschlossenheit und Hingabe gewidmet. Und nachdem er einmal bewusst entschieden hatte Chris bedingungslos zu lieben, fiel es ihm überraschend leicht. Es bereitete ihm ein nie gekanntes Vergnügen.
    Für die dünnen Frauen dieser Welt war er für immer verloren. Die reiche,
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