Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wendland & Adrian 03 - Nachtauge

Wendland & Adrian 03 - Nachtauge

Titel: Wendland & Adrian 03 - Nachtauge
Autoren: Thomas Görden
Vom Netzwerk:
der Krankheit verzehrten Lungen gab es dafür kaum noch Raum.
    Sie hörte Vogelstimmen. Auch auf dem Planeten der Zuflucht gab es demnach Vögel und ihr Gesang erinnerte Carim an ihre für immer verlorene Heimat. Sie lächelte Torn an. Die Lieder der Vögel würden ihr Volk also in dieser neuen Welt begleiten. Das war gut.
    »Nun konnte ich die neue Erde doch nicht mehr küssen«, flüsterte sie.
    »Ich habe es für dich getan«, sagte Torn.
    Dann sah sie, dass die anderen gekommen waren, um Abschied zu nehmen. Hundertdreiundzwanzig Männer, Frauen und Kinder, viele weinend, viele ebenfalls von Krankheit gezeichnet. Kartam trat vor, der Wächter der Kristalle des Wissens. Bestürzt erkannte Chris in Carims sterbendem Körper, dass Kartams Gesicht, auch wenn seine Haut ebenso kupferfarben wie die Carims war, unverkennbar die Züge Arne Feltens trug.
    »Du hast uns sicher hierher gebracht, Meisterin der Schiffe«, sagte Kartam. »Wir werden dein Andenken immer in Ehren halten.«
    Carim sah das berechnende Glitzern in Kartams Augen. Sie hatte es immer für einen schweren Fehler gehalten, ausgerechnet ihm die Dreizehn Kristalle anzuvertrauen. Er war noch viel zu sehr dem alten Denken verhaftet. Auch wenn er seine Rolle raffiniert spielte, hatte er Carim doch nie zu täuschen vermocht. Der alte spaltende, ausbeutende Geist wirkte noch in ihm und Carims Tod kam ihm gerade recht. Oh, wenn ich doch noch bleiben könnte, um Torn und den anderen beizustehen, dachte sie verzweifelt. Torn allein kann sich gegen Kartam nicht behaupten. Er ist viel zu weich und gutmütig. Ich bin sicher, Kartam wird die Macht der Kristalle missbrauchen und Unheil anrichten.
    Kartam trug den großen, den Dreizehnten Kristall, der die Summe der Weisheit aller zwölf Planeten enthielt. Die ebenmäßige, klare Kugel war so groß, dass Kartams Hände sie kaum zu umfassen vermochten. Er hielt sie ganz dicht über Carim. Sie hob mühsam ihre dünne Hand und segnete den Kristall. »Möge das heilige Wissen allen, die mit den Dreizehn Kristallen in Berührung kommen, Frieden und Liebe bringen.« Sie war überrascht, dass sie die Worte so klar herausgebracht hatte, doch jetzt musste sie husten und Blut quoll ihr aus dem Mund, das Torn behutsam abwischte. Er legte ihr ein kühles, feuchtes Tuch auf die Stirn.
    Kartam verneigte sich tief und zog sich zurück. Auch die anderen gingen. Wie es sich geziemte, ließen sie Torn und Carim allein, damit die beiden Liebenden in den letzten Minuten ungestört waren.
    Torn legte seinen Kopf an Carims Brust und weinte. »Verlass mich nicht«, bat er. »Du weißt, die Schönheit deiner Seele bedeutet mir mehr als alle Sterne und Planeten.«
    Wie ein Blatt im Wind schwebte Carims Hand noch einmal hoch und strich durch Torns Haar. Carim lächelte, dann ging sie für immer. Da war ein langer Tunnel, durch den sie schwebte und am Ende des Tunnels leuchtete ein Licht. Es erinnerte Carim an den freundlichen Schein ihrer Heimatsonne, unter deren wärmenden Strahlen sie als Kind gespielt hatte, am Strand eines Meeres, das es nicht mehr gab, auf einem Planeten, der wie elf andere Welten in der Großen Katastrophe für alle Zeiten vernichtet worden war. Auf dieses Licht trieb Carim zu und ihr Geist fand Frieden.

    Chris liefen Tränen über das Gesicht. Sie legte den Kristall in ihren Schoß und wischte sie rasch weg. Es hatte praktisch keinen Übergang gegeben. Eine Sekunde zuvor war sie noch Carim gewesen, die dem freundlichen Licht entgegentrieb, und nun saß sie wieder auf dem Sofa. Der Kristallschädel war so klar, als hätte sie niemals irgendein Bild darin gesehen, nur der gelbe Lichtschein der kleinen Lampe schimmerte weich durch ihn hindurch. Chris merkte, dass Mister Brown aufs Sofa gesprungen war und seinen dicken Kopf an ihre Seite schmiegte. Wieder einmal war sie froh diesen Medizinhund zu haben. Seine Energie tat ihr einfach gut.
    Sie legte den Kristallschädel in den Koffer zurück und stand auf. Langsam ging sie zum Fenster und öffnete die Läden. Draußen war inzwischen die Sonne untergegangen und die Abenddämmerung senkte sich auf die Lichtung. Chris reckte und streckte sich. Sie fühlte sich erhitzt und ausgetrocknet, als hätte sich Carims Fieber auf sie übertragen. Sie ging in die Küche und trank ein großes Glas Wasser. Mister Brown war ihr gefolgt und schaute sie hechelnd an. Sie füllte seine Schale mit Wasser, das er gierig wegschlabberte. »Hast dich wohl auch angesteckt?«, sagte sie.
    Silver Bear
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher