Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Titel: Wen liebst du, wenn ich tot bin?
Autoren: Arena
Vom Netzwerk:
ich. »Ich habe ihr beim Singen zugehört, ehe du mir so grob auf den Rücken gesprungen bist.«
    Er lachte. »Sie ist völlig unmusikalisch. Sie treibt meinen Dad in den Wahnsinn.«
    Ich dachte daran, wie Mum Gitarre geübt und Sam dazu gesungen hatte. Sie hatte versucht, uns Akkorde beizubringen, aber ich kapierte es einfach nicht und war immer viel zu langsam für die beiden.
    Der Schmetterling setzte sich auf ein Blatt, schloss die Flügel und zeigte uns seine schwarzen Flecken, dann flog er wieder fort.
    »Ich habe deine Mutter noch gar nicht gesehen«, sagte er.
    »Sie geht selten aus dem Haus.«
    Ich strich mit den Händen über die dicken, zerfaserten Maisstängel, die zwischen uns beiden auf dem Boden lagen. Er machte es mir nach.
    »Genau genommen ist sie nie da. Sie wohnt nicht mehr bei uns.«
    Ich wartete, aber er heuchelte weder Mitleid, noch schien er entsetzt zu sein oder sich genötigt zu sehen, mir zu sagen, was er davon hielt. Also erzählte ich ihm, dass sie fast ohne alles Gepäck nach Beni Khiar aufgebrochen war, in einem blauen Ford Transit, in den sie in wochenlanger Arbeit ein Bett, Stauraum und einen kleinen Gaskocher eingebaut hatte.
    »Das liegt in Tunesien«, sagte ich. »Aus irgendeinem unerfindlichen Grund wollte sie immer dorthin.«
    Trick schien beeindruckt zu sein, deshalb erzählte ich ihm, wie sie in dem Transporter lebte und an Orte reiste, die Qalibiyah und Qurbus hießen.
    Ich betrachtete unsere Hände, die über die welken Maiskolben strichen.
    »Findest du das nicht total verrückt?«
    »Nicht für Ansässige«, sagte er, und als er meinen verständnislosen Blick sah, erklärte er: »Weißt du, solche wie ihr. Leute mit festen Wohnungen, Ziegelstein-Fans. Das Gegenteil von fahrendem Volk. Bei Ansässigen kommt es andauernd vor, dass sie sich trennen …«
    »Tut mir leid«, fügte er hinzu, und ich fragte mich, ob ich zusammengezuckt war.
    »Und deine Leute tun das nicht?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube, manche von ihnen würden sich auch gern trennen«, antwortete er und grub seine Fingernägel so fest in den Boden, dass sie halbmondförmige Abdrücke hinterließen.
    »Weißt du, wie wir euch nennen?«, fragte er.
    »Wie denn?«
    »Gadschos.«
    Er blickte mich amüsiert an.
    »Muss ich jetzt beleidigt sein?«
    Er zuckte die Achseln, als wolle er es mir überlassen, dann erzählte er mir von den Gadschos, die eine Zeit lang in seiner Nähe gewohnt hatten, als er noch jünger gewesen war. Und dass sie alle das Gleiche angehabt hatten.
    »Weiße Turnschuhe und Trainingshosen. Und sie hatten richtig Schiss vor uns!«
    Ich rümpfte die Nase. »Das bezweifle ich.«
    Er begann mir zu erzählen, dass früher vieles anders und fahrendes Volk noch willkommen gewesen sei. Später, wenn er älter war, würde er ganz so wie früher leben, sagte er: über dem offenen Feuer kochen, sich von den Früchten der Natur ernähren und unter den Sternen schlafen. Dann erzählte er mir, wie er in der Welt herumreisen würde, und von all den Orten, die er aufsuchen würde, und ich hörte ihm zu und freute mich und stellte mir vor, dass ich auch unterwegs wäre und in einem himmelblauen Kombi reisen würde.
    »Weshalb ist sie denn weggegangen? Deine Mami, meine ich.«
    Überrascht blickte ich ihn an, aber seine Miene war so freundlich und offen. Ich holte langsam Luft und dachte über seine Frage nach.
    »Sie ist oft wütend«, sagte ich nach einer Weile. »Sie sagte, sie wolle nicht, dass wir mit ihr so aufwachsen. Und dass es besser sei, wenn sie nicht mehr da wäre … Sie sagte, sie wolle uns nicht die Schuld geben.«
    »Euch die Schuld geben?«, wiederholte er fragend, aber ich zuckte nur mit den Achseln.
    Er wollte wissen, warum ich sie nicht einfach begleitet hatte.
    »Also ich wäre gerne mitgegangen«, fügte er hinzu, und ich dachte an Sam, der auch sehr gerne mitgegangen wäre.
    Ich sagte, es sei wegen der Schule und weil es so am einfachsten war, aber in Wirklichkeit sei ich wegen Dad hiergeblieben. Ich sagte ihm nicht, dass Mum nicht wollte, dass wir mitgehen.
    »Unsere Ma kann ganz schön wütend werden«, erzählte er. »Aber wir beachten sie einfach nicht.«
    »Das wäre bei meiner gar nicht möglich.«
    »Dann ist sie wie mein Dad«, stellte er fest. »Normalerweise ist er der fröhlichste Mann auf der Welt, aber wenn er …«
    Er schien noch etwas sagen zu wollen, also schwieg ich und wartete ab, aber er pflückte nur einen Löwenzahn, zupfte die Blätter und alles ab und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher