Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wen küss ich und wenn ja, wie viele? - Lilias Tagebuch

Wen küss ich und wenn ja, wie viele? - Lilias Tagebuch

Titel: Wen küss ich und wenn ja, wie viele? - Lilias Tagebuch
Autoren: Mara Andeck
Vom Netzwerk:
schnarchen?
    »Ja. Weil ich gesungen habe.« Zum Glück war es hier dunkel, so konnte er nicht sehen, wie rot ich geworden war.
    Wieder minutenlanges Schweigen.
    »Tom?«
    »Hmm?«
    »Danke!«
    »Hmmm.«
    Wieder Pause.
    »Ist Maiken wieder aufgetaucht?«
    »Ja. Sie hat ihre Mutter angerufen. Die holt sie ab. Ihr war nicht mehr nach Feiern zumute.«
    »Oh. Alles klar.«
    Zweige knackten, Blätter raschelten. Gröff gröff. Tom richtete sich auf.
    »Sind nur Wildschweine«, sagte ich ganz cool.
    »Puh!« Tom atmete auf und klatschte in die Hände. Die Tiere entfernten sich.
    Dann stupste mich etwas von der Seite an. Ich schrie auf.
    »Ist nur Primel«, meinte Tom.
    »Oh. Klar!«
    Wieder eine lange Pause.
    »Tom?«
    »Hmm?« Seine Stimme war direkt neben meinem Ohr.
    Und dann drehte ich mich zu ihm um, tastete nach seinem Gesicht, packte ihn an den Ohren, peilte ungefähr die Mitte seines Gesichtes an und küsste dahin, wo ich seinen Mund vermutete. Beim zweiten Versuch traf ich.
    War das mutig? Nein, das kann man so nicht sagen. Es war – unausweichlich. Ich musste das einfach tun. Ich konnte an nichts anderes mehr denken als an Toms Mund. Jeder Millimeter Luft zwischen seinen und meinen Lippen schien mirplötzlich unerträglich. Ich wollte nur noch eine Sache auf der Welt – Tom küssen. Und das tat ich dann einfach.
    Und Tom? Erst saß er einfach nur stocksteif da und rührte sich nicht. Ich hörte förmlich, wie es in seinem Kopf ratterte und klickte, als er versuchte, herauszufinden, was da plötzlich geschah. Ich glaube, er versuchte sogar, etwas zu sagen. Aber dann wurde er auf einmal ganz ruhig. Er nahm mein Gesicht in seine Hände, legte seinen Mund auf meinen und hielt kurz inne. Ich fühlte seine Lippen, spürte seinen Atem und nahm den Zimtduft seiner Haut wahr. Und dann küsste Tom mich so, wie auf dieser Welt nur Tom küsst.
    10.00 Uhr Liebe Nachfahren, denkt euch an dieser Stelle Geigenklänge und malt euch alles selbst aus. Mehr erfahrt ihr über diesen Kuss nicht. Ich werde gar nicht erst versuchen, ihn euch zu beschreiben, es gibt sowieso keine Worte dafür. Und es geht euch auch nichts an.
    Viel gibt es aber über die Dinge zu sagen, die mir klar wurden, als Tom nach diesem Kuss zu reden begann.
    Er lehnte wieder am Baumstamm und sprach einfach in die Dunkelheit hinein, als wäre ich gar nicht da, als spräche er mit sich selbst. Aber leider war ich da und hörte jedes Wort.
    Ich weiß jetzt: Dieser Kuss im Wald war nicht unser erster, sondern der fünfte! Die Kusswette mit verbundenen Augen – drei Mal habe ich damals Tom geküsst, ohne es zu merken.
    Und ich begriff noch mehr. Die Sache mit dem Motorrad – von wegen Hilfe bei meiner Balz! Als Tom gemerkt hat, dass Jakob mich anbaggerte, wollte er ihn mit dem Bike absichtlich ablenken. Und mit der Einladung zum Döner wollte er dasselbeerreichen: Jake mit Knofi-Duft auf Abstand halten. Auch dass Jakob am Montag nicht wie versprochen abends bei mir vorbeigekommen ist, lag an Tom. Wie er das allerdings hingetrickst hat, wollte er mir leider nicht verraten.

    Und warum das alles? Ja, warum wohl: Weil Tom in mich verliebt ist. Ein bisschen war das immer schon so, seit ich ihm einst im Sandkasten die Schaufel über die Rübe gezogen habe! Doch all die Jahre war seine Verliebtheit ein eher gemütliches Gefühl, eine ganz besondere Freundschaft. Seit Beginn unserer Tanzstunden war das aber auf einmal anders. Bei jedem Walzer, jedem Tango und jedem Jive wuchs das Gefühl, wurde wacher und lebendiger, aber gleichzeitig auch ungemütlicher und drängender. Etwas musste passieren, das war Tom klar. Er hatte schon allen Mut zusammengenommen, um mich zum Abschlussball aufzufordern, aber dann kam ihm die Kusswette in die Quere. Er konnte einfach nicht dabei zusehen, wie die anderen mich küssten, da hat er Jakob und Benny einfach weggeschubst. Er sprach davon, dass er seitdem eine Menge Stress mit Jakob gehabt habe und es kaum aushalten konnte, als wir plötzlich zusammen waren. Und er gab zu, er sei gar nicht wirklich mit Vicky zusammen, sie hätten Jakob und mich nur eifersüchtig machen wollen.
    Und dann machte er eine Pause und dachte nach. Es war ganz still im Wald. Unerträglich still. Selbst Primel rührte sich nicht.
    Schließlich sagte Tom, dass das jetzt ein Ende haben müsse.
    Ja, das sagte er. Es sei vielleicht der Evolution so über die Jahrtausende betrachtet wirklich völlig egal, wer hier wen küsste. Aber ihm nicht. Ich sei für ihn Lilia und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher