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Wen der Rabe ruft (German Edition)

Wen der Rabe ruft (German Edition)

Titel: Wen der Rabe ruft (German Edition)
Autoren: Maggie Stiefvater
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schwer zu erklären war.
    Ronan Lynchs haigesichtiger BMW hielt hinter dem Camaro, sein normalerweise so glänzend anthrazitgrauer Lack grün überpudert mit Blütenstaub. Gansey spürte den Bass aus der Stereoanlage unter den Füßen, bevor er die Melodie erkannte. Als er aufstand, öffnete Ronan gerade seine Tür. Auf dem Beifahrersitz saß Adam Parrish, das dritte Mitglied des Vierergespanns, das Gansey und seine engsten Freunde bildeten. Adams Krawattenknoten saß tadellos über seinem Pulloverkragen. Mit einer seiner schlanken Hände presste er sich Ronans flaches Handy ans Ohr.
    Gansey und Adam wechselten einen flüchtigen Blick durch die offene Autotür. Adams zusammengezogene Augenbrauen fragten: Hast du was gefunden? , und Ganseys geweitete Augen antworteten: Sag du’s mir.
    Adam runzelte die Stirn, drehte die Musik leiser und sagte irgendetwas ins Telefon.
    Ronan knallte die Autotür zu – er knallte immer alles zu – und ging zum Kofferraum. Er sagte: »Mein Arsch von Bruder will sich nachher mit uns im Nino treffen. Mit Ashley.«
    »Ist das er da am Telefon?«, erkundigte sich Gansey. »Und wer oder was ist Ashley?«
    Ronan hievte einen Benzinkanister aus dem Kofferraum und gab sich dabei nur minimale Mühe, den verschmierten Behälter von seiner Kleidung fernzuhalten. Wie Gansey trug er die Aglionby-Schuluniform, nur dass es ihm stets irgendwie gelang, sie so schäbig wie möglich aussehen zu lassen. Die Methode, nach der er seine Krawatte geknotet hatte, ließ sich wohl am besten mit »Verachtung« beschreiben und unter dem Pulloversaum lugten zerknittert seine Hemdzipfel hervor. Sein Lächeln war schmal und messerscharf. Wenn sein BMW einem Hai ähnelte, dann hatte der Wagen sich lediglich seinem Besitzer angepasst. »Declans aktuelle Flamme. Wir sollen uns extrahübsch für sie machen.«
    Gansey war alles andere als begeistert, sich bei Ronans großem Bruder einschleimen zu müssen, aber er verstand die Notwendigkeit. Freiheit war in der Familie Lynch eine komplizierte Angelegenheit und momentan lag der Schlüssel dazu nun mal bei Declan.
    Ronan reichte ihm den Benzinkanister im Austausch für das Aufnahmegerät. »Er will es unbedingt heute machen, weil er ganz genau weiß, dass ich da eigentlich keine Zeit habe.«
    Der Tankdeckel des Camaros lag versteckt hinter dem Kennzeichen und Ronan sah schweigend zu, wie Gansey mit dem Tankdeckel, dem Kanister und dem Kennzeichen zugleich kämpfte.
    »Das hättest auch gerne du machen können«, beschwerte sich Gansey. »Dir ist schließlich egal, ob du dir das Hemd versaust.«
    Ohne eine Spur von Mitgefühl kratzte Ronan an einer alten braunen Kruste unter den fünf zusammengeknoteten Lederbändchen an seinem Handgelenk. Letzte Woche hatten Adam und er einander abwechselnd auf einem Rollbrett hinter dem BMW hergezogen und dabei zahlreiche Blessuren davongetragen.
    »Jetzt frag schon, ob ich was gefunden habe«, forderte Gansey Ronan auf.
    Seufzend hob Ronan das Aufnahmegerät. »Und, hast du was gefunden?«
    Ronan klang nicht sonderlich interessiert, aber das war einfach seine Masche. Man konnte unmöglich sagen, wie tief sein Desinteresse wirklich ging.
    Benzin sickerte langsam in Ganseys teure Chinos, schon das zweite Paar, das er sich in diesem Monat ruinierte. Er war nicht mit Absicht so nachlässig – obwohl Adam ihm immer wieder predigte: »Diese Sachen kosten alle Geld, Gansey« –, sondern er begriff die Konsequenzen seines Tuns irgendwie immer erst, wenn es zu spät war. »Ja, aber ich bin nicht sicher, was. Ich habe ungefähr vier Stunden Tonaufnahmen und da ist … irgendwas. Aber ich weiß nicht, was es bedeutet.« Er deutete auf das Gerät. »Schalt mal ein.«
    Ronan wandte sich der Autobahn zu und drückte die PLAY-Taste. Einen Augenblick war nichts außer dem frostig klingenden Zirpen von Grillen zu hören. Dann ertönte Ganseys Stimme:
    »Gansey.«
    Eine lange Pause folgte. Gansey rieb bedächtig mit dem Finger über die pockige Chromstoßstange des Camaros. Es war immer noch seltsam, seine eigene Stimme auf dem Band zu hören, ohne dass er sich daran erinnern konnte, die Worte ausgesprochen zu haben.
    Dann erklang, wie von sehr weit weg, eine weibliche Stimme, kaum zu verstehen: »Mehr nicht?«
    Argwöhnisch huschte Ronans Blick zu Gansey.
    Der hob den Finger: Warte . Gemurmel, noch leiser als zuvor, zischte aus dem Lautsprecher; Worte waren nicht auszumachen, nur der Tonfall: Fragen und Antworten. Schließlich drang abermals seine
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