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Welten - Roman

Titel: Welten - Roman
Autoren: Heyne
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Mittel, das Geld und das Personal mit den Fähigkeiten beschafft, die erforderlich waren, um mir auf meinem Weg in die Vergessenheit zu helfen, habe die Möglichkeiten derer geprüft, die vielleicht ein Interesse haben könnten, mir nachzuspüren, habe mir Methoden zurechtgelegt, um ihre Pläne zu durchkreuzen, und als alles vorbereitet war, die Sache schließlich durchgezogen.
    Und so liege ich jetzt hier und denke nach.

DER WELTENWECHSLER
    Andere haben mir erzählt, dass es bei ihnen während eines Blinzelns passiert oder einfach so zwischen zwei Herzschlägen oder sogar während eines Herzschlags. Es gibt immer ein äußeres Anzeichen: ein Zittern oder Beben, häufig ein sichtbares, gelegentlich sogar ein starkes Zucken, als hätte der Körper des Betreffenden einen Stromschlag erhalten. Eine Person gab an, dass sie in diesem Moment immer meint, aus dem Augenwinkel etwas Überraschendes oder Bedrohliches bemerkt zu haben, und ein unangenehmes Brennen im Hals spürt wie von einem Elektroschock. Bei mir ist es in der Regel eine Spur peinlicher: Ich niese.

    Ich nieste einfach.
    Ich habe nur eine ganz vage Vorstellung davon, wie lange ich vor dem kleinen Café im dritten Arrondissement saß, während ich darauf wartete, dass die Wirkung der Droge eintrat, und in den Wachtraum sank, der die notwendige Voraussetzung dafür ist, um genau das gewünschte Ziel zu erreichen. Mehrere Sekunden? Fünf Minuten? Die Rechnung habe ich hoffentlich bezahlt. Eigentlich könnte es mir gleichgültig sein - ich bin nicht er, und er wird sowieso noch dort sein -, aber es ist mir nicht gleichgültig. Ich beuge mich vor und richte den Blick auf den Tisch. Auf dem kleinen Plastiktablett mit der festgehefteten Rechnung liegt ein wenig Kleingeld. Francs, Centimes - keine Euros. So weit, so gut.
    Ich empfinde das starke Bedürfnis, die Gegenstände auf dem Tisch zurechtzurücken. Die Zuckerdose hat genau in der Mitte zu stehen, während die geleerte Espressotasse schnurgerade und exakt auf halber Strecke zwischen der Dose und mir platziert sein muss. Das Rechnungstablett lasse ich gern rechts von der Dose, als Ausgleich für den Gewürzständer. Erst als ich die Dinge in diese angenehme Konstellation bringe, bemerke ich, dass die Hand, die aus meinem Ärmel ragt, tiefbraun ist. Außerdem fällt mir auf, dass ich gerade eine Art Kreuz auf dem Tisch arrangiert habe. Ich blicke auf, um die Bauart der Autos und Straßenbahnen und die Kleidung der Fußgänger zu erfassen. Wie erwartet befinde ich mich in einer jüdisch-islamischen Wirklichkeit. Sofort bilde ich mit den Objekten auf dem Tisch eine Figur, die dort, wo ich herkomme, ein Friedenssymbol darstellt. Erleichtert lehne ich mich zurück. Zwar sehe ich garantiert nicht wie ein christlicher Terrorist aus, aber man kann gar nicht vorsichtig genug sein.

    Oder sehe ich womöglich doch so aus? Ich greife in meinen Brustbeutel - wie die meisten Männer und Frauen hier trage ich einen praktisch taschenlosen Salwar Kamiz - und ziehe heraus, was vor mehreren Sekunden oder fünf Minuten noch mein iPod gewesen wäre. Hier ist es ein Zigarettenetui aus rostfreiem Stahl. Ich tue so, als würde ich mit dem Gedanken spielen, eine Zigarette zu rauchen; in Wirklichkeit jedoch studiere ich mein Spiegelbild auf der blanken Rückseite des Etuis. Erneut Erleichterung: keine Ähnlichkeit mit einem christlichen Terroristen. Ich sehe aus wie üblich, wenn ich diese Hautfarbe habe, und im Großen und Ganzen wie immer, unabhängig von Teint, Rasse und Typ, das heißt untadelig, unauffällig, nicht unattraktiv (auch nicht attraktiv, aber das macht mir nichts aus). Ich wirke einfach farblos. Doch farblos ist gut, farblos ist sicher, farblos passt sich gut an: die perfekte Tarnung.
    Die Uhr. Immer auf die Uhr schauen. Ich schaue auf die Uhr. Die Uhr ist in Ordnung, kein Problem mit der Uhr. Ich nehme keine Zigarette, weil ich kein Verlangen danach spüre. Anscheinend habe bei dieser neuen Verkörperung auf dieses Gelüst verzichtet. Ich stecke das Etui zurück in den Beutel, der von der Schulter bis zur Hüfte reicht, und überprüfe, dass die kleine Dose mit den Ormolu-Tabletten sicher in der verschlossenen inneren Tasche verstaut ist. Abermals Erleichterung! (Die Tablettendose ist bisher noch jedes Mal mitgereist, aber man macht sich immer Sorgen. Na ja, ich mache mir immer Sorgen. Zumindest glaube ich das.)
    Meinem Ausweis entnehme ich, dass ich Aiman Q’ands bin, was einigermaßen richtig klingt. Aiman, hey,
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