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Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken
Autoren: Thomas Finn
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Grabkerze aufgereiht waren, die er benötigte, um sich aufzustylen. Das schwarze Haar auf seinem rasierten Schädel, das er normalerweise zu einem Irokesenschnitt hochtoupierte, hing verfilzt in sein hageres Gesicht, und seine blauen Augen sahen irgendwie rot umrändert aus. Cool. Mit etwas Glück blieb das so.
    Dummerweise hatte er sich von Andy dazu überreden lassen, bei diesem ollen Krampuslauf morgen mitzumachen. Dazu gehörte heute Abend eine Kostümprobe und eine letzte Einweisung, auf die Roman Köhler bestand, der die Pass organisierte. Der Typ war zwar für einen Lehrer ganz in Ordnung, doch Robert nervte, dass die Teufelsmasken seinen ganzen Style zerstörten. Außerdem schwitzte man in den Ziegenfellkostümen, dass es nicht zum Aushalten war. Das Einzige, was daran noch okay war, war der Umstand, dass die Felle schwarz waren. Der Rest war echt Kinderfasching. Und das, obwohl sich die meisten anderen Gleichaltrigen im Ort wahrscheinlich ein Bein ausgerissen hätten, um zur Pass zu gehören. Aber er war nicht wie die anderen. Er war ja nicht einmal so wie die älteren Punks in Berchtesgaden. Oder die paar Grufties, die es an seiner Schule gab. Er war eben er. Irgendwas dazwischen. Egal. Leider stand Andy voll auf den Krampuslauf, und Andy war nun mal sein bester Kumpel. Und irgendwo hatte er ja auch recht. Sie konnten schließlich Konrad Toschlager und seinen spackigen Freunden nicht einfach so das Feld überlassen.
    Mit dem Gedanken an ihre Erzfeinde entschloss sich Robert zu einer kurzen Katzenwäsche. Aufstylen lohnte sich heute nicht. Kurz entschlossen verzichtete er daher auf Haarwachs und Spray und kämmte sich den schwarzen Haarschopf streng nach links. Anschließend ordnete er die Dosen, Bürsten und Kämme, zündete sich eine bereitliegende Kippe an und ging rüber in sein Zimmer. Es war ganz schwarz gestrichen, und auch hier brannten zwei Kerzen. Schließlich war heute der zweite Advent, obwohl er selbst Andy gegenüber niemals zugegeben hätte, dass das der Grund dafür war. Der Schein der Flammen flackerte rhythmisch im Takt von ›Mothers Tungue‹, das jetzt aus den Boxen dröhnte. Robert nahm einen weiteren Zug und betrachtete die neuen Kinoplakate an der Wand gegenüber der Zimmertür: Nightmare before Christmas, The Crow und Pulp Fiction. Robert hatte in Berchtesgaden Bekanntschaft mit dem Vorführer eines Kinos geschlossen und war insgeheim ziemlich stolz drauf, dass er etwas besaß, das Andy nicht hatte. Dessen Vater war zwar der reichste Mann in Perchtal, und Andy fehlte es an nichts, aber Plakate wie diese konnte er ihm nicht besorgen. Was alles andere betraf, hätte Robert jederzeit mit Andy getauscht. Vermutlich sogar mit dessen toter Mutter. Man munkelte im Ort, dass sie sich vor ein paar Jahren mit der Jagdflinte ihres Mannes den Kopf weggeblasen hatte. Warum, das wusste er nicht. Aber prinzipiell war das natürlich schon ein cooler Abgang. Besser als hier in Perchtal darauf zu warten, von der Langeweile erstickt zu werden. Andy sah das logischerweise anders. Trotzdem beneidete Robert ihn manchmal um sein Leben.
    Es wurde Zeit.
    Meine Güte, wie er das hasste.
    Robert drückte die Kippe in seinem Totenkopfaschenbecher aus und stellte ihn zurück auf das Regal mit den Musikkassetten, die ihm Andy aufgenommen hatte. Robert hatte sie nach Alphabet sortiert. Ganz links Blasphemie, ganz rechts Rotting Christ. Er schätzte Ordnung. Sie machte ihn ruhiger. Sogar sein Bett hatte er bereits gemacht. Dass Andy seine eigene Bude so versiffen ließ, hatte Robert nie verstehen können. Aber Andy war eben Andy. Mit ihm wurde es wenigstens nicht langweilig. Dafür beschwerte sich sein Freund auch nicht, dass er seit seinem 13. Lebensjahr rauchte. Das war jetzt zwei Jahre her. Robert konnte sich die Qualmerei zwar eigentlich nicht leisten, aber auch die Kippe vor dem Frühstück – wenn seine Mutter zur Abwechslung mal dran dachte, Essen zu machen – gehörte inzwischen zu seinem morgendlichen Ritual. Und Rituale waren wichtig.
    Robert klappte das Zimmerfenster einen Spalt breit auf, sodass der Rauch abziehen konnte. Das alte Thermometer am Fensterbrett zeigte minus sechs Grad Celsius an. Trotz der Kälte war sich Robert sicher, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis Andy hier aufkreuzte. Eigenartig, heute fiel ihm zum ersten Mal auf, dass sein Freund ganz schön anhänglich sein konnte.
    Hätte er einen Super Nintendo und eine so coole Bude für sich allein, dann würde er den lieben langen
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